Rot-rot-grüne Außenpolitik - geht das?
Claudia Roth hatte den Buchtitel bis heute anders wahrgenommen: »In einer aus den Fugen geratenden Welt« hatte die Grünen-Politikerin wie selbstverständlich als »geratene Welt« gelesen. Die Welt ist doch längst aus allen Fugen, dieser Eindruck hat sich ihr auf einer kürzlichen Reise in die Krisengebiete in Irak nochmals verstärkt. Heidemarie Wieczorek-Zeul nickt, ihr ist der kleine Lesefehler ebenso unterlaufen wie der langjährigen Grüne-Vorsitzenden und heutigen Bundestags-Vizepräsidentin. Auch die SPD-Bundesministerin a.D., zuständig für Entwicklungspolitik in den Jahren 1998 bis 2009, die mit Roth in einer rot-grünen Koalition zusammengearbeitet hat, sieht dringenden Handlungsbedarf. Sie ist, anders als Roth, auch Autorin des Buches, dessen Herausgeber, Paul Schäfer, am Mittwoch bei der Vorstellung in Berlin zwischen den beiden streitbaren Damen sitzt.
Ein Schulterschluss ist das noch nicht. Auch Paul Schäfer sieht es nicht als realistisch an, eine gemeinsame rot-rot-grüne Außenpolitik etablieren zu wollen. Schon gar nicht bis 2017, dem Jahr der nächsten Bundestagswahl. Schäfer, der für die LINKE bis 2013 im Bundestag saß und für Außen- und Sicherheitspolitik zuständig war, gilt vielen in seiner Partei als einer, der die Grundsätze der LINKEN für den Lohn einer Regierungsbeteiligung zu opfern bereit ist. Referenzprojekte einer gemeinsamen Regierung sollten das Ziel einer Debatte sein, das meint er. Immerhin. Also doch?
Man müsse etwas unternehmen, um die Fugen der krisengeschüttelten Welt wieder zu kitten, das ist das offenkundig gemeinsame Ziel der Runde, die das Buch als Aufforderung zu einer parteiübergreifenden Debatte verstanden wissen will, wohlweislich über die Grenzen der drei Parteien hinaus. Autoren sind neben Parteipolitikern deshalb auch Vertreter der Wissenschaft und sozialer Bewegungen. Trotzdem: Rot-rot-grüne Außenpolitik - kann so etwas funktionieren? Die Auseinandersetzungen gerade im Bundestag lassen da keinen Optimismus aufkommen, wo sich die Fraktionen der Opposition immer wieder gegenseitig widersprechen, statt der Regierungskoalition Paroli zu bieten, wie Claudia Roth bedauernd feststellt.
Die jüngsten Debatten etwa über die Ukraine haben die Gräben eher vertieft als eingeebnet. Zugleich lässt Roth keinen Zweifel aufkommen, bei wem sie den größten Bewegungsbedarf sieht. Die LINKE solle, das würde sie sich wünschen, wie die Grünen vor Jahren ihre Debatten »versachlichen«. Eine generelle Ablehnung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr, da stimmt ihr Paul Schäfer zu, könne keine konsistente außenpolitische Linie sein. Das verlange er schon aus intellektuellen Gründen, dass der Einzelfall genau betrachtet werden müsse. Im Buch widerspricht ihm der Außenpolitiker Jan van Aken quasi mit den Worten: »Wer ein Nein zu Auslandseinsätzen mit ›Nichts tun‹ gleichsetzt, erklärt das Militärische zum Einzigen und Wahren und ignoriert alle anderen Mittel zum Umgang mit Krisen und Konflikten.« Claudia Roth zeigt sich darüber enttäuscht. Und dass man sich von aktuellen Kontroversen nicht ins Bockshorn jagen lassen solle. Die Debatte ist eröffnet.
Paul Schäfer (Hrsg.): In einer aus den Fugen geratenden Welt. Linke Außenpolitik: Eröffnung einer überfälligen Debatte. VSA-Verlag Hamburg 2014. ISBN: 978-3-89965-606-0, 24,80 Euro
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