Angriff auf den Mindestlohn
Schäubles Bundesdruckerei zerrte die Stadt Dortmund wegen Vergabekriterien vor den Kadi - mit Erfolg
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einer Entscheidung am Donnerstag Teile des deutschen Mindestlohnsystems für rechtswidrig erklärt. Öffentliche Auftraggeber können demnach gegenüber Subunternehmen, die im Ausland ansässig sind, nicht auf Zahlung von vergaberechtlich festgeschriebenen Mindestlöhnen bestehen, sofern die betreffende Arbeit im Ausland erledigt wird.
Das Verfahren hatte die Bundesdruckerei, die dem Berliner Finanzministerium von Wolfgang Schäuble (CDU) untersteht, gegen die Stadt Dortmund angestrengt. Im konkreten Fall ging es darum, dass sich die Bundesdruckerei auf einen von Dortmund ausgeschriebenen Auftrag über die Digitalisierung von Akten beworben hatte und diesen von einem polnischen Subunternehmen in Polen ausführen lassen wollte.
Da in Polen arbeitende Beschäftigte den dortigen niedrigeren Lebenshaltungskosten unterliegen, habe der auf deutsche Mindestlohn keine Grundlage, argumentiert das Gericht. So würde den Subunternehmern die Möglichkeit genommen, »aus den zwischen den jeweiligen Lohnniveaus bestehenden Unterschieden einen Wettbewerbsvorteil zu ziehen«.
Scharfe Kritik an der Entscheidung und der zugrunde liegenden Rechtslage kommt von der Gewerkschaft ver.di. Das Urteil sei »außerordentlich bedenklich«, sagt ein Bundesvorstandssprecher gegenüber »nd«. Es schaffe ein »Einfallstor für Lohn- und Sozialdumping« - und verweise auf einen grundlegenden »Konstruktionsfehler« der EU, die Unternehmerrechte über Arbeitnehmerinteressen stelle.
Ähnlich spricht der Europa-Experte der LINKEN im Bundestag, Diether Dehm, von einem »Bärendienst für das soziale Europa«. Offenbar seien »Marktfreiheiten in der EU wichtiger als soziale Rechte«. Laut Dehm hat es das Bundeswirtschaftsministerium von SPD-Chef Sigmar Gabriel zudem »trotz mehrfacher Bitten des Landes NRW« unterlassen, »in einer Stellungnahme gegenüber dem Gericht die Rechtsauffassung des Landes Nordrhein-Westfalen« - auf dessen Tariftreue- und Vergabegesetz die Lohnanforderung von 8,62 Euro die Stunde beruhte - »darzulegen und ihr damit Gehör zu verschaffen«.
Ver.di-Sprecher Christoph Schmitz nennt es gegenüber dieser Zeitung ebenfalls »bemerkenswert«, dass ausgerechnet ein staatseigenes Unternehmen wie die Bundesdruckerei diese juristische Attacke auf das Vergaberecht gestartet hat. Es sei zu befürchten, dass sich diese Haltung als »Stil prägend für die Privatwirtschaft« erweisen werde.
Auch wenn sich die jetzige Entscheidung nur auf Arbeiten bezieht, die physisch im Ausland ausgeführt werden und also z.B. für Gebäudereinigung oder Wachschutz auch dann nicht einschlägig ist, wenn Firmen im Ausland sitzen, könnten laut Schmitz erhebliche Bereiche öffentlicher Aufträge künftig mindestlohnfrei werden - etwa »alles, was mit Software zu tun hat.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.