Flirrende Rote Flora
Lange stand das einstige Musiktheater leer - als linke Aktivisten es 1989 in Besitz nahmen, wurde es Widerstandsort, Kulturort, Zufluchtsort, Streitort. Ein Anders-Ort
Zum Jubiläum spielen weit angereiste Gäste auf. Die experimentelle Elektro-Band »Zaum« aus Kanada gibt ein Konzert im autonomen Kulturzentrum »Rote Flora«, das am Dienstag vor 25 Jahren eröffnet worden ist. »Zaum«, so nannte sich die Sprache, die russische Futuristen vor gut 100 Jahren erfanden, für den Literaturwissenschaftler Hans Günther eine übersinnliche »Lautsprache jenseits der Grenzen des Verstandes«.
Die Begriffe, die sich die Hamburger von der Flora gemacht haben, wechselten im Lauf der umkämpften Jahre. Jenseits des Verstandes ist die Geschichte des Widerstandsorts nicht, wohl aber erstaunlich. Aus zunächst geplanten sechs Wochen, in denen die Aktivisten ihr alternatives Nutzungskonzept für das 1888 errichte, lange Jahre immer wieder leer stehende Varietétheater »Flora« im Schanzenviertel vorstellen sollten, ist inzwischen ein Vierteljahrhundert geworden. Mit dem Ablauf der sechs Wochen auf Probe erklärten die Floristen zum Entsetzen der Stadtverwaltung das Gebäude am 1. November 1989 kurzerhand für besetzt. Damit begruben sie nicht nur die Pläne, an der Adresse Schulterblatt 71 ein neues Musical-Theater zu errichten, sondern traten auch das Erbe der in den 1980er Jahren schwer umkämpften Hafenstraße-Häuser an.
Vor allem montags zeigt sich die Flora in einem unspektakulären Bild, wenn man hinter die Fassade blickt, die von altem Schauspiel-Glanz und neuen politischen Parolen kündet. Die Selbsthilfewerkstätten für Fahrrad- und Motorradfahrer sind geöffnet, ansonsten wird fleißig umgebaut, um die Flora einladender zu gestalten. »Die Baumaßnahmen in den 1990er Jahren waren auf schnelles Flicken ausgelegt«, erklärt Klaus von der Flora-Pressegruppe: »Jetzt ist der Optimismus da, dass es noch weitere 25 Jahre hält.«
Der alte Haupteingang an der Straße, durch den die Gäste vor Jahrzehnten zu Konzerten, Box- oder Ringkämpfen schritten, ist lange zugemauert, die Flora lässt sich nur von der Seite aus betreten. Nun soll ein neuer Vordereingang gebaut werden, der zu einem Café führt, das die alte Volxküche ersetzt. Wäre die Flora ein bürgerlicher Genusstempel, man würde wohl von einem niedrigschwelligen Angebot sprechen.
Angebote, Verhandlungen, Drohungen - vor allem in den 1990er Jahren war dies ein regelmäßiger Kreislauf im Verhältnis von Stadt und Besetzern. Für Innensenatoren gehörte es damals zum guten Ton, öffentlich und laut über die polizeiliche Räumung des Gebäudes nachzudenken. Dieses Klima hat die Flora-Aktivisten bis heute wachsam bleiben lassen. Ohne Gegenwehr keine Gegenmacht. 2001 versuchte die damalige rot-grüne Regierung eine Befriedung der Situation durch den Verkauf der Flora an Klausmartin Kretschmer, der sich als Kulturunternehmer profilierte, von den Floristen aber gleich ein lebenslanges Hausverbot erhielt.
Inzwischen besteht hat sich ein Arrangement entwickelt, das man als Bestandsschutz für die Flora interpretieren kann. Der Nutzungszweck als Kulturzentrum ist behördlich festgeschrieben, konkrete Pläne zur Räumung des Gebäudes gibt es schon lange nicht mehr - auch wenn Kretschmer dies immer mal wieder gefordert hat. Flora-Sprecher Andreas Blechschmidt nennt die Umarmung durch die Stadt einen »taktischen Burgfrieden«.
Das heißt keinesfalls, dass in der Flora nicht nach wie vor innerstädtische Konfliktlinien zusammenlaufen. Gerade 2014 war hierbei ein ereignisreiches Jahr. Die unmittelbar nach ihrem Beginn von der Polizei aufgelöste Demonstration von knapp 10 000 Menschen für den Erhalt der Flora (und gegen Kretschmers Räumungsforderung) im Dezember 2013 war ein Anlass für den SPD-Senat, die höchst umstrittenen innerstädtischen Gefahrengebiete auszurufen, gegen die im Januar viele Hamburger auf die Straße gingen. Allein die Sommermonate warteten nun mit der Insolvenz des Eigentümers Kretschmer, Auseinandersetzungen um den Hausbesetzungs-Kongress (»Squatting Days«) in Hamburg und ein vorgezogenes Jubiläumskonzert der Hip-Hop-Band »Beginner« mit tausenden Besuchern rund um die Flora auf.
Vor allem auch musikalisch ist das besetzte Haus ein Anlaufpunkt für Leute, die Projekte jenseits des Mainstreams verfolgen wollen - mit den wechselnden Schwerpunkten Reggae, Techno und Elektro-Experimenten. »Jede Aktivität hier wird von einer autonomen Gruppe organisiert«, sagt Klaus, »alle zusammen bilden in ihrem Flimmern das Projekt Flora. Da zeigt sich auch die Meinungsvielfalt der undogmatischen Linken: Wer allein bestimmen will, hat’s hier schwer.« Mit dem Umbau sollen auch bessere Möglichkeiten für Kinoabende, Theatergruppen und Performance-Künstler geschaffen werden.
»Flora bleibt!«, heißt die Parole, und so erfolgreich sie war, so ist doch nichts um die Flora herum geblieben, wie es vor 25 Jahren einmal war. Die Gentrifizierung im Schanzenviertel ist in vollem Gange, und der schmuddelige Charme des einstigen Arbeiter-, Studenten- und Migrantenviertels ist abseits der Flora längst einer Hochglanz-Piazza gewichen, auf der Bars und Cafés die Passanten locken, um die steigenden Gewerbemieten bezahlen zu können. Auf den Stühlen und Bänken tanken die Großstadtbewohner und -besucher noch die letzte Spätsommersonne.
Die Flora sei ein Raum gegen die »Logik der Gewinnmaximierung«, sagt Blechschmidt. Hinter dem Seiteneingang der Flora übt eine junge Mutter mit ihrem Sohn auf dem Skateboard-Platz. Vor der massiven Stahltür am Gebäude unterhalten sich zwei junge Männer über politische Resolutionen. Jeden Mittwoch tagt das Plenum, um Entscheidungen zu treffen, vor allem in der Flüchtlingspolitik sind viele Floristen stark engagiert. Mit ihren Stellungnahmen zum Israel-Palästina-Konflikt ist die Flora auch innerhalb der Linken nicht immer auf Gegenliebe gestoßen. Kritiker bemängeln eine allzu einseitige Parteinahme für die israelische Politik, inklusive der Befürwortung von Kriegshandlungen. Wenn im Viertel gerade eine alte Rindermarkthalle zum Einkaufszentrum umgestaltet worden ist, dann bündelt sich die Kritik an mangelnder Mitsprache der Anwohner eher im nahegelegenen legal-genossenschaftlichen Centro Sociale, das 2008 explizit zum Kampf gegen die Gentrifizierung (»als Widerborst zur zunehmend umstrukturierten Stadt«) gegründet wurde.
Nichtsdestotrotz besitzt die Flora eine hohe symbolische Bedeutung als Heterotopie, als Anders-Ort. Und diese Bedeutung erhöht sich noch mit jedem Meter, den die Gentrifizierung im Schanzenviertel voranschreitet. Längst ist der Ort auch in den Künsten angekommen. Die Theaterfabrik »Kampnagel« baute für ein Projekt mit der Flüchtlingsgruppe »Lampedusa in Hamburg« die Rote Flora im Mini-aturmaßstab nach. So entstand im fernen Hamburg-Barmbek das »Kanalspielhaus Flora« als »Zentrum des Avant-Gartens«.
Zur Bürgerschaftswahl am 15. Februar 2015 könnten alte Zeiten rhetorisch wiederbelebt werden. In einer Stadt, die »Richter Gnadenlos« Ronald Schill zum Innensenator aufsteigen ließ, dürften die Rechtsaußen-Neulinge von der AfD versucht sein, politisches Kapital aus der Flora zu schlagen. Hamburg sei »durch Duldung faktisch rechtsfreier Räume kaum gehindert zur Hochburg des Linksextremismus in Deutschland« geworden, heißt es in ihrem Wahlprogramm. »Ich kann mir vorstellen, dass das Besetztsein der Flora im Wahlkampf gegen andere Themen wie Wohnungsnot ausgespielt wird«, mutmaßt Annika aus der Flora-Pressegruppe. Wobei die Ur-Floristen 1989 ja ein Beispiel zum Umgang mit Leerstand gegeben haben.
Nach der Insolvenz kann Kretschmer seine allgemein auf Widerspruch gestoßenen Pläne eines vollständigen Innenumbaus der Flora zum mehrstöckigen Kulturpalast nicht mehr weiterverfolgen. Noch vor der Bürgerschaftswahl soll das Gebäude zwangsversteigert werden, die Stadt wird wohl etwa 1,1 Millionen Euro bieten. Was sie mit der Flora nach einem erfolgreichen Rückerwerb vorhat, ist offen. Dass ein neuer Senat eine harte Konfliktlinie fährt, ist nach Lage der Dinge aber unwahrscheinlich.
In der Flora stehen allerdings auch keine Büchsen, mit denen etwa für ein genossenschaftliches Immobilienerwerbsmodell gesammelt würde. »Dass unser Status prekär ist, finden wir ja auch richtig«, sagt Klaus, »wir wollen den herrschenden Verhältnissen nicht den kleinen Finger reichen. Wenn wir kampfbereit bleiben, ist es auch nicht die Frage, ob wir uns mit Kretschmer oder der Stadt auseinandersetzen müssen.«
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