Debatte um Unrechtsstaat: LINKE sucht Mittelweg
Grüne bestehen auf Bekenntnis zu gemeinsamer Formulierung
In der Debatte um das umstrittene rot-rot-grüne Papier zur DDR-Vergangenheit hat Ina Leukefeld jüngst eine Haltung sehr pointiert zusammenfasst, die innerhalb der LINKEN in Thüringen mit Blick auf die laufenden Sondierungen zwischen LINKER, SPD und Grünen im Freistaat von zentraler Bedeutung sein dürfe. In einem am Montag veröffentlichten Gespräch mit MDR Info hatte die Landtagsabgeordnete - die trotz ihrer IM-Vergangenheit schon das dritte Mal als Direktkandidatin ins das Parlament in Erfurt eingezogen ist - scharf zwischen ihrer Bewertung der DDR-Vergangenheit und der entsprechenden Bewertung anderer unterschieden. Sie hatte gesagt: »Ich für mich kann diesen Kampfbegriff, dieses moralische Werturteil nicht annehmen.« Allerdings könne sie »akzeptieren, dass Menschen, die da gelitten haben und auch möglicherweise jüngere Menschen, die das heute aus der Geschichte her beurteilen, zu dieser Erkenntnis kommen«.
Wenn auch mit anderen Worten, hatten zuvor auch andere einflussreiche Linke sich derart geäußert - und damit eine Haltung formuliert, die vor allem die Grünen im Freistaat zu irritierten Kommentaren veranlasste und von diesen entscheidend dafür verantwortlich gemacht wird, die Frage offen zu halten, ob es zu einer rot-rot-grünen Koalition im Land kommt oder nicht. Auf einer Basiskonferenz der Linkspartei am Samstag in Sömmerda hatte schon der ehemalige Bürgermeister Hildburghausens, Steffen Harzer, ähnliche Töne wie Leukefeld angeschlagen: Die LINKE habe immer betont, Freiheit sei auch immer die Freiheit des Andersdenkenden. Deshalb müsse die LINKE auch die Freiheit von SPD und Grünen respektieren, die DDR-Vergangenheit anders als sie - nämlich als Unrechtsstaat - zu interpretieren, hatte er gesagt. Und selbst die Vorsitzende des Landesverbandes der Partei, Susanne Hennig-Wellsow, hatte sich im Kern so geäußert. Um das umstrittene rot-rot-grüne Dokument zu verteidigen, hatte sie gesagt, die Sondierungsdelegation der LINKEN hätte auf den Begriff Unrechtsstaat darin gerne verzichtet. SPD und Grüne allerdings hätten darauf bestanden. »Der Begriff Unrechtsstaat wird damit kein linker Begriff.« Im Vergleich mit solchen Stimmen waren - jedenfalls in Thüringen - bisher jene Stimmen in der Linkspartei klar in der Minderheit, die sich einer Beschreibung der DDR als Unrechtsstaat mit Unterschrift der LINKEN generell verweigern.
Die Position von Hennig-Wellsow, Harzer, Leukefeld und anderen ist für die Grünen ein Problem, auch wenn diese darauf hinausläuft, dass die Auffassung der Grünen und der SPD schriftlich Niederschlag findet. Sie beharren auf dem in der vergangenen Woche verabschiedeten rot-rot-grünen Papier, in dem es heißt: »Die DDR war eine Diktatur, kein Rechtsstaat.« Und weiter: »Weil durch unfreie Wahlen bereits die strukturelle demokratische Legitimation staatlichen Handelns fehlte, weil jedes Recht und jede Gerechtigkeit in der DDR ein Ende haben konnte, wenn einer der kleinen oder großen Mächtigen es so wollte, weil jedes Recht und Gerechtigkeit für diejenigen verloren waren, die sich nicht systemkonform verhielten, war die DDR in der Konsequenz ein Unrechtsstaat.« Aus der grünen Sicht bedeuten diese Zeilen: Die LINKE hat damit selbst anerkannt, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Sie gesteht nicht nur den anderen Parteien zu, diese Perspektive einzunehmen, sondern nimmt sie auch selbst ein.
Allen voran hatte die Spitzenkandidatin der Grünen für die Landtagswahl, Anja Siegesmund, zuletzt mehrfach kritisiert, die Partei falle hinter den Geist des rot-rot-grünen Papieres zurück. Dass Bodo Ramelow, der Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, den Text auf der Basiskonferenz als »Protokollnotiz« bezeichnet hatte, hat den Unmut noch vergrößert. Indirekt hat Siegesmund deshalb schon mit dem Abbruch der rot-rot-grünen Sondierungen gedroht. Es verbiete sich, das Papier als eine »Protokollnotiz« abzuqualifizieren. Und auch aus der SPD waren warnende Stimmen gekommen - wenn auch leisere. Landesgeschäftsführer René Lindenberg hatte gesagt, sollte es zu einem Koalitionsvertrag zwischen LINKER, SPD und Grünen kommen, müsse die gemeinsame Erklärung dafür »ein zentraler Bestandteil« sein. »Das ist keine Protokollnotiz, keine Fußnote.«
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