Regional statt global
Genfood, Monokulturen, Tierfabriken - die Agrarindustrie ist das Problem, nicht die Lösung, sagen Kritiker
Karierte Kopftücher, lachende Kinder auf Traktoren, weite grüne Wiesen. Idyllische Bilder glücklicher Bauern die von Milch- und Käsepackungen in den Supermärkten herunterlächeln. Aber gibt es sie wirklich, die traditionellen Bauern, die glücklich schnatternden Enten auf dem Hof? Traditionelle, ökologische Landwirtschaft, ja, die gibt es. Mit der Idylle aus Kinderbüchern oder Erinnerungen an den großelterlichen Bauernhof hat sie in der Regel jedoch wenig gemein. Denn Kleinbauern müssen kämpfen, um ihre Existenz und gegen den Druck multinationaler Großkonzerne.
Vom 2. bis 5. Oktober finden in Berlin der »Wir haben es satt Kongress« und das »Stadt-Land-Food-Festival« statt. Engagierte Bauern, Umwelt-, Tier- und Naturschützer und kritische Verbraucher wollen auf dem Kongress ihre Visionen über eine zukunftsfähige Landwirtschaft diskutieren. Denn sie alle haben es satt: Tierfabriken, Monokulturen, patentiertes Saatgut, Gentechnik. Über 30 000 Menschen haben das Anfang des Jahres auf der großen »Wir-haben-es-satt«-Demonstration klargemacht.
»Was wir ablehnen, da sind wir uns einig«, sagt Jochen Fritz, Sprecher des Bündnisses. »Nun geht es darum, Alternativen vorzustellen.« Grundlegende Fragen stehen auf dem Programm: Welche Nahrung wollen wir in Zukunft konsumieren? Wie kann eine Agrarwende eingeleitet werden?
Was auf dem Kongress in der Emmaus-Kirche diskutiert wird, kann draußen erlebt, angefasst und gekostet werden. Auf den Straßen um die Kirche und die historische Kreuzberger Markthalle stellen über 100 bäuerliche Landwirte und handwerklicher Lebensmittelproduzenten ihre Erzeugnisse vor. Es wird gebacken, gekäst und gebraut. Dazwischen gibt es Theater, Kino und Musik. Wer vorbeikommt, bringt am besten Hunger mit. Denn es gibt alles, und davon viel: vegan, vegetarisch oder mit Fleisch; Gerichte aus allen Ecken der Welt.
So international wie auf den Tellern geht es auch beim Kongress zu. Die globale Dimension der Landwirtschaft - ein klarer Fokus des »Wir-haben-es-satt«-Bündnisses. Der Ruf nach Regionalität sei dabei kein Widerspruch, meint Biobauer Rudolf Bühler. Im Gegenteil, das sei die Antwort auf die globale Problematik. »Die EU ist Weltmeister im Export von Agrarerzeugnissen, fast im gleichen Umfang werden aber Lebensmittel importiert. Das ist totaler Nonsens.« Was man brauche, seien regionale Kreisläufe, die sich an die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung anpassen.
Eine Aktivistin aus Südafrika berichtet: »Das Ernährungssystem hat uns im Stich gelassen. Zu Gunsten der Profite Weniger geht die Mehrheit der Menschen hungrig ins Bett.« Zwei Konzerne - Monsanto und DuPont - kontrollierten in Südafrika den gesamten Saatgutbereich für Mais.
Aber wie soll sie nun aussehen die Landwirtschaft von morgen? Klar ist, einfach wird es nicht. Die Agrarwirtschaft der Zukunft muss sich großen Herausforderungen stellen: Die Weltbevölkerung wächst, Ressourcen und Biodiversität müssen geschont, der Klimawandel aufgehalten werden. Volker Koch-Achelpöhler, Hauptgeschäftsführer des Industrieverband Agrar - denn auch Vertreter der verschmähten industriellen Massenproduktion kommen auf dem Kongress zu Wort - hat dazu eine klare Meinung. Angesichts des Bevölkerungswachstums müsse sich die Lebensmittelproduktion bis 2030 verdoppeln. »Wir müssen mit weniger mehr produzieren«, so Koch-Achelpöhler. Innovativen Technologien wie Dünge- und Pflanzenschutzmitteln dürfe man sich nicht verschließen.
Dies sieht die Mehrheit der Kongressteilnehmer etwas anders. Denn Fakt ist, nicht die Menge, sondern die Verteilung der produzierten Güter ist das Problem. Dem Hunger von über 800 Millionen Menschen stehen Überflussgesellschaften in Europa und Nordamerika gegenüber. In Deutschland landen rund 20 Prozent der erworbenen Lebensmittel im Müll, fast zwei Milliarden Menschen auf der Welt erleiden Gesundheitsschäden aufgrund von Überernährung. Vollständig und so effektiv wie möglich als Lebensmittel eingesetzt, könnten die weltweiten Ernten 12 bis 14 Milliarden Menschen ernähren.
Industrielle Massenproduktion sei, so Bühler, mitnichten die Lösung für die Versorgung der wachsenden Weltbevölkerung. Denn nicht nur die ökologischen Konsequenzen der Monokulturen und des genmanipulierten Saatguts seien verheerend, auch die soziale Dimension dürfe man nicht außer Acht lassen. »Die globalen Saatgutmultis zwingen die Bauern in eine Abhängigkeit und machen sie zu modernen Sklaven«, so der Biobauer.
Vielfalt statt Monokulturen, artgerechte Tierhaltung statt Antibiotikaverseuchung fordert daher die »Wir-haben-es-satt«-Community. Doch um das zu realisieren, braucht es neben kritischen Verbrauchern auch die entsprechenden Bauern. Die wiederum benötigen Land und müssen von ihrer Arbeit leben können. Beides derzeit Fehlanzeige. Landgrabbing sei nicht nur ein internationales Phänomen, meint Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Aufgrund einer fehlenden Landregulierung würden Kleinbauern bei der Verteilung von Böden strukturell benachteiligt. Und auch die Frage nach dem gerechten Anteil der Wertschöpfung für die Bauern ist nicht beantwortet. Denn verdient wird vor allem an und nicht in der Landwirtschaft. Kleinbauern stecken in der Zange zwischen Zuliefererkonzernen und Großabnehmern. Dort bleiben die Profite hängen - bei den Pflanzenschutz- und Düngemittelherstellern und großen Discountern.
Eine nachhaltige Landwirtschaft, meint das Bündnis, kann nur funktionieren, wenn die entfremdeten Produzenten und Konsumenten wieder in direkten Kontakt treten. Und so feiert man an diesem Wochenende in Kreuzberg statt der Zusammenführung von Ost- und West die Wiedervereinigung von Stadt und Land.
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