Einmal Adenauerrouladen, bitte!

Malaise und Moritat: Die »Distel« polemisiert und protestiert »Im Namen der Raute«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Steilvorlage stammt wieder einmal von der Regierungspartei selbst. Auf dem nah dem Hauptbahnhof hängenden CDU-Werbeplakat von 2013 hält unsere Kanzlerin in schöner innerer Ausgeglichenheit die Hände zur Raute geformt: Nur das zeigt überdimensional das körnige Foto, daneben der Slogan, Deutschlands Zukunft sei »in guten Händen«. Daran muss ein Kabarettistenhirn sich entzünden. Bei der »Distel« taten das gleich mehrere Autoren. Heraus kam »Im Namen der Raute«. Wer bei dem Titel an Umberto Eco und seinen Mittelalterthriller denkt, liegt nicht ganz falsch. Ein kabarettistischer Thriller ist, was über die Bühnenbretter geht und vom Quintett Timo Doleys, Tom van Hasselt, Jens Neutag, Thilo Seibel und Sabine Wiegand textlich miterdacht, von Dominik Paetzholdt temporeich inszeniert wurde. Zwei Ereignisse von Bedeutung werden hierbei amüsant verknüpft: die fieberhaften Vorbereitungen für ein Treffen Merkels mit Obama und die vom Bräutigam selbst organisierte Scherzentführung seiner Braut, beides im noblen Hotel Adlon.

In den flöte- und mandolinebegleiteten Song von der Raute an der Regierung platzt endlich auch der Drittakteur und mault nach mehr politischer Brisanz im Programm. Das mischt sich mit der missglückenden Brautentführung zu einem Pingpong zwischen rechtsstaatlicher Malaise und privater Moritat. Doch eigentlich spielt das Politische auch ins Private hinein, denn Auftraggeber des Kidnappings ist der CDUler Bernd, dessen Freund Björn führt sie aus, eifersüchtig und der CDU nicht wohlgesonnen, ein alter Onkel läuft mit. Das Trio landet im Hotelkeller und muss sich verstecken, weil der Geheimdienst jeden Winkel durchleuchtet. Während die drei im Kühlraum fast erstarren, pariert die forsche Mieze von der NSA jede Bemerkung des schwäbischen Kollegen: Ihr braucht uns, weil ihr taub und blind den NSU habt gewähren lassen, wir aber wissen alles. Der Mann vom Verfassungsschutz sagt eh immer: Geht nicht.

Zu den Seitenhieben auf die Politik gehören auch Attacken gegen die Zustände in Schulen, das Reizthema Inklusion, den versiegenden Idealismus der Lehrer. Und die Sorgen des Adlon-Managers: kein Krim-Sekt für Obama, auch kein Schokopudding zum Dessert, kein schottischer Whiskey für Englands Premier. Selbstredend auch wider das TTIP: eine Braut, die man erst in der Hochzeitsnacht kennenlernt. Dann spitzt sich die Lage der Entführer zu. Sie werden für Terroristen gehalten und von der Sicherheit gejagt, der Onkel entpuppt sich auch noch als Ex-RAF-Essensversorger mit Decknamen Käthe Ring. Da hilft nur noch: Don’t worry, be happy.

Nach der Pause wird der Ton schärfer. Etwa wenn sich zwei hochausgebildete Musiksoldaten beklagen, bei Empfängen immer nur Nationalhymnen spielen zu dürfen; Moses bei der Einreise nach Europa an den EU-Richtlinien scheitert und überhaupt die EU heute gerade zu hat; die Hauspsychologin kaum mehr nachkommt, weil Abgeordnete wieder gegen ihr Gewissen entscheiden mussten, die CSU unterm Maut-Syndrom zuckt; Gauck & Co. dem Krieg das Wort reden. Das Spitzentreffen fällt aus, weil sich Obama mit Putin verabredet hat, Mutti Merkel übernachtet in der Präsidentensuite friedlich mit ihrem Gatten und träumt von Adenauerrouladen, weil der echte Name nicht über ihre Zunge will. Am Ende bleibt Merkel Superstar wohl in ihrem Laden. Es hat sich nichts geändert, außer dass man mal herzhaft lachen durfte. Das verdankt sich Timo Doleys, Edgar Harter und Caroline Lux. Wie sie von Rolle zu Rolle eilt, Braut, NSA-Frau, geschasste Journalistin, TV-Wahrsagerin, nicht zu vergessen ihre Paradeparts als EU-Beamtin und Frau von der Leyen und wie sie blitzschnell Tonfall, Gestus, Körpersprache wechselt. Und es gibt Abschiede. Texter Martin Maier-Bode legt freiwillig die Intendanz nieder, Harter zieht sich in seinem 40. »Distel«-Jahr zurück. Die »Distel« selbst wurde am Premierentag ihres 137. Programms 61.

Distel, Friedrichstr. 101, Tickettelefon: 20 44 704, www.distel-berlin.de

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