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Unerschrocken gegen Folterknechte und Mörder
Jeanette Erazo Heufelder porträtiert Ellen Marx, eine der Mütter der Plaza de Mayo in Buneos Aires
Geboren wurde sie 1921 als Ellen Pinkus in Berlin. Sie wuchs gut behütet in bürgerlichen Verhältnissen auf und war gerade mal achtzehn, als sie ohne ihre Eltern auf einem der letzten Passagierschiffe mit viel Glück vor den Nazis nach Argentinien entkam. Die meisten Staaten hatten ihre Grenzen für Juden schon dicht gemacht, auch Ellens Einreise stand auf der Kippe.
Eigentlich wollten ihre Eltern nachkommen, aber dazu kam es nicht mehr. Die Mutter wurde in Auschwitz ermordet, ihr Vater, ein ehemaliger Ledergroßhändler, war bereits vor der Deportation verstorben. Ellens »Familie« war in den Exiljahren ihre Pfadfindergruppe. Ihre erste Arbeitsstelle als Kindermädchen bei einer katholischen Familie verlor sie, als man erfuhr, dass sie Jüdin war. 1942 heiratete sie einen deutsch-jüdischen Emigranten namens Marx. Mit dem Pianisten bekam sie vier Kinder. Sie engagierte sich in der deutsch-jüdischen Gemeinde von Buenos Aires und leitete einen Kinderhort des jüdischen Hilfswerks.
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* Jeanette Erazo Heufelder: Von Berlin nach Buenos Aires – Ellen Marx. Deutsch-jüdische Emigrantin und Mutter der Plaza de Mayo. Metropol. 224 S., geb., 22 €.
Sie bewegte sich fast ausschließlich im deutschen Emigrantenmilieu von Buenos Aires, bis ein weiterer Schicksalsschlag den Rest ihres Lebens bestimmen sollte. An Ellens 55. Geburtstag, am 24. März 1976, putschte sich in Argentinien das Militär an die Macht. Zahllose Menschen »verschwanden« auf Nimmerwiedersehen. Unter ihnen auch Nora, die 28-jährige Tochter von Ellen Marx. Sie wollte ins Kino gehen und kam nie wieder zurück. Nora engagierte sich für die Ärmsten, hatte in einem Elendsviertel von Buenos Aires gearbeitet. Sie »verschwand« am 21. August 1976.
Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland konnte oder wollte Ellen Marx bei der Suche nach der Tochter nicht helfen. Und so wurde aus der deutschen Jüdin eine der »Madres de Plaza de Mayo«. Ende April 1977 machten sich die Mütter zum ersten Mal auf den Weg zum Präsidentenpalast, um Antworten über den Verbleib ihrer Kinder einzufordern. Ellen Marx lernte viele Menschen außerhalb des deutsch-jüdischen Emigrantenmilieus kennen, Schicksalsgefährtinnen. Die Suche nach den verschwundenen Kindern einte sie.
Paradoxerweise traf Ellen Marx nun auch auf Mütter, die einst Nazis waren und nach dem Krieg emigrierten. Auch deren Kinder blieben von der Junta nicht verschont. Ihre eigene Tochter sollte Ellen Marx nie wieder sehen. Sie war bereits ermordet worden. Nach Ende der Diktatur reiste Ellen Marx 1983 erstmals wieder nach Deutschland. Mit Hilfe eines Berliner Rechtsanwalts erstattete sie in Berlin Strafanzeige gegen argentinische Militärs. Sie wurde sogar von Willy Brandt und Helmut Kohl empfangen, aber die Verfahren gegen die argentinischen Militärs zogen sich hin. Zur Anklage deutscherseits kam es in Noras Fall nicht, da sie nicht die deutsche Staatsbürgerschaft hatte. Allerdings wurde Anklage in anderen Fällen, so im Fall Käsemann, erhoben. Ein großer Erfolg!
Ellen Marx kämpfte weiter um Aufklärung von Menschrechtsverletzungen und Verbrechen während der argentinischen Diktatur. Bis kurz vor ihrem Tod im Jahre 2008 leitete sie die Gruppe der deutschstämmigen Mütter von Verschwundenen und Diktaturopfern.
Jeanette Erazo Heufelder hat eine würdige Erinnerung an eine starke, selbstbewusste Frau verfasst, deren Mut, Folterknechten und Mördern die Stirn zu bieten, viele Menschen beeindruckte und inspirierte. Dass in Argentinien ab 2011 mehrere damals führende Militärs wegen zahlreicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt wurden, erlebte Ellen Marx nicht mehr.
Jeanette Erazo Heufelder, Lateinamerikaexpertin, die bereits eine Biografie über Fidel Castro veröffentlichte, über Minenarbeiter in Kolumbien und Drogenhandel in Mexiko schrieb, erzählt vom Leben einer unerschrockenen Frau, die mit preußischer Disziplin für die Menschenrechte stritt.
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