Die Rebellin in der Pollera
Boliviens ehemalige Justizministerin Casimira Rodríguez, die einst Hausmädchen war, ist für viele Frauen ein großes Vorbild
An der schlichten, schwarzen Metalltür mit der Nummer 860 klebt ein Hinweisschild mit den Lettern »Sindicato de trabajadoras asalarias del hogar« (Gewerkschaft der angestellten HausarbeiterInnen). Jeden Sonntag laufen in dem großen Haus mit der vorgelagerten überdachten Terrasse Kurse und Seminare für die Mitglieder der Gewerkschaft. Auch unter der Woche ist das Haus ein Anlaufpunkt für Frauen, die anderen den Haushalt führen und sich beraten lassen wollen. Heute, an einem heißen Sommersamstag, hat Casimira Rodríguez die kleine Organisation der Straßenreinigerinnen von Cochabamba eingeladen. Hier sollen sich die noch kaum organisierten Frauen beraten lassen, wie sie sich zusammenschließen können und wie sie sich am Besten gegenüber ihrem Arbeitgeber vertreten lassen. Straßenreinigung in Bolivien ist Frauensache, obgleich die Reinigung der Grünstreifen, deren Bepflanzung und die Instandhaltung der Abflüsse harte Arbeit ist. Meist sind die Frauen, viele davon alleinerziehend, von Subunternehmen angestellt.
»Allein funktioniert es nicht, ihr habt es schließlich mit dem Subunternehmen, den Stadtwerken und deren Anwälten zu tun. Ihr wollt mehr Rechte, das kostet Geld, also wehren sich die Arbeitgeber«, erklärt Casimira Rodríguez mit leiser Stimme. Gespannt hängen rund zwei Dutzend Frauen an ihren Lippen und die Autorität, die Rodríguez ausstrahlt, ist beinahe greifbar. Hin und wieder nimmt sie die Hände zur Hilfe, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen.
Die Frau von Ende vierzig mit den sorgsam geflochtenen Zöpfen, dem Pollera genannten traditionellen Faltenrock und dem hellen Strohhut der Quechua-Frauen steht in Bolivien für den Aufstieg der indigenen Frauen in der Gesellschaft. Dabei hatte es die aus dem kleinen Dorf Mizque bei Cochabamba stammende Frau alles andere als einfach. Mit dreizehn ging sie in die Stadt, um dort als Hausmädchen zu arbeiten und der Familie zu etwas Einkommen zu verhelfen. In den ersten beiden Jahren wurde sie nur als Arbeitsesel - als Objekt - behandelt und nicht bezahlt. Als das ihre Eltern mitbekamen, riefen sie einen der Dorfältesten als Vermittler hinzu. Doch Geld hat die Familie trotzdem nie gesehen.
Casimira Rodríguez hat aus ihren Erfahrungen gelernt. Im Gegensatz zu vielen anderen hat sie sich nicht wiederholt auf solche unfairen Arbeitsbedingungen eingelassen. Das hat ihr die Anerkennung von rund 140 000 Dienstmädchen in Bolivien eingebracht und den Respekt großer Teile der Gesellschaft. Entsprechend aufmerksam hören ihr nun auch die Frauen zu, die in Cochabamba für saubere Straßen sorgen.
Casimira, die viele in der Gewerkschaftsszene noch unter ihrem Kampfnamen Camila kennen, der sich an den kubanischen Revolutionär Camilo Cienfuegos anlehnt, ist erst über eine Kirchengruppe zu Informationen über ihre Arbeitsrechte gekommen. »Damals hat es Klick gemacht. Wir müssen uns nicht alles gefallen lassen, müssen lernen, unsere Rechte einzufordern«, erklärt sie. Sie hat gerade ein wenig Zeit, denn die Frauen von der Straßenreinigung unterhalten sich nun mit dem Anwalt über das weitere Vorgehen unter der überdachten Terrasse, die vor dem geräumigen Gewerkschaftshaus angelegt ist. Dort ist Casimira wieder öfter zu sehen und auch zu hören. Sie berät, hilft ihren Nachfolgerinnen in der Leitung der von ihr mitgegründeten Gewerkschaft Fenatrahob und engagiert sich für die Rechte der Frauen, die nicht die gleichen Erfahrungen machen sollen wie sie.
»Viele der Mädchen haben Angst, sich mit ihren Arbeitgebern zu streiten, denn sie werden zwar gern als Mitglied der Familie bezeichnet, aber im Zweifel vor die Tür gesetzt«, sagt sie und legt die Stirn missbilligend in Falten. Dagegen macht die Mutter von Zwillingen wieder vermehrt mobil, denn seit die Kleinen im Kindergarten sind, hat sie etwas mehr Zeit, um zu arbeiten. Ihre Biografie soll in den nächsten Monaten herauskommen.
Rodríguez ist nahezu rastlos. Gerade hat sie mehrere Anträge versandt, um in Bolivien ein regionales Monitoring-Zentrum aufzubauen. Damit soll die Umsetzung der ILO-Konvention 189 »Menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte« überwacht werden. Die Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation wurde im November 2012 verabschiedet, doch ihre Ratifizierung und Implementierung geht alles andere als zügig vonstatten - auch in Bolivien stockte der Prozess. Daher rief Casimira Rodríguez dazu auf, für die Ratifizierung der Konvention auf die Straße zu gehen. Erfolgreich, denn nach den Märschen im Frühjahr 2013 wurde die Konvention in Bolivien schließlich ratifiziert.
Nun folgt der nächste, deutlich schwierigere Schritt: die Implementierung in nationales Recht. »Von allein ändert sich gar nichts«, sagt Casimira Rodríguez lächelnd. Das gilt nicht nur für die Rechte der Hausangestellten, sondern auch generell für die Rechte der Frau, denn Bolivien ist ein Land mit patriarchalen Strukturen. Gewalt gegen Frauen ist alles andere als selten, sagt Rodríguez und die nach wie vor hohe Zahl an Frauenmorde gibt ihr Recht. Zwar hat sich im Alltag vieles geändert, denn Aymara- und Quechua-Frauen, die in traditioneller Tracht in Ministerien und Unternehmen ein- und ausgehen, sind alles andere als die Ausnahme, aber die gleichen Rechte haben die Frauen dadurch noch nicht automatisch.
Casimira Rodríguez, die 2006 als Justizministerin ins Kabinett einzog, war dabei eine Speerspitze. Gleichwohl hat sie sich viel Diskriminierendes anhören müssen, bis sie 2007 das Handtuch warf. Das wissen auch Frauen wie Nardi Suxo, die einzige Ministerin im Kabinett von Präsident Evo Morales, die von Beginn an dabei und für die Korruptionsbekämpfung verantwortlich ist. »Stigmatisierung und Diskriminierung gibt es auch heute noch in Bolivien, aber wir haben Fortschritte gemacht«, sagt die Ministerin.
Auf die eigenen Rechte pochen immer mehr Frauen in La Paz, Cochabamba oder Santa Cruz, denn schließlich sind sie es immer öfter, die das Geld nach Hause bringen. Dabei berät und hilft auch Casimira Rodríguez. Sie leitet die Stiftung »Madre Selva«. Die nimmt viele Aufgaben wahr, vermittelt, versucht Frauenrechtsgruppen besser zu vernetzen und die Rechte der Frau, darunter auch der Hausmädchen, zu stärken. Das funktioniert, aber es gibt weiterhin viel zu tun, wie das Beispiel der Straßenreinigerinnen zeigt. Die haben sich nun entschieden zu kämpfen und dem Beispiel der Rebellin im Pollera zu folgen. Die ist längst nach Hause zu den Zwillingen geeilt, denn ihr Mann Ramiro, ein Krankenpfleger, hat heute Nachtschicht. Arbeitsteilung im Hause Rodríguez.
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