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Wildern im Garten etablierter Strukturen

Die Sharing Economy wird nicht zwangsläufig von großen Konzernen vereinnahmt, sondern bietet Möglichkeiten, eine alternative Wirtschaftsform zu etablieren. Eine Antwort von Thomas Dönnebrink auf Markus Euskirchen

  • Thomas Dönnebrink
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie kommen und gehen, die Themen in den Medien. Was heute noch brandaktuell, teilweise aufgebauscht und wie eine Sau durchs globale Mediendorf getrieben wird, ist morgen schon wieder verschwunden. Ein Thema hält sich allerdings bereits seit Monaten tapfer in der Presse. Es taucht - wenn auch nur selten auf den Titelseiten - immer wieder in verschiedenen Kontexten auf: die Sharing Economy. Andere sprechen auch von »collaborative consumption«, auf Neudeutsch »kollaborativer Konsum« oder »KoKonsum«. Allein der Umstand, dass sich ein sprachlicher Begriff noch nicht herausgebildet hat, zeigt, wie wenig greifbar - und vielleicht begreifbar - das Thema eigentlich noch ist. Dies gilt wohl vor allem für dessen Auswirkungen.

Zu beobachten ist in den Medien allerdings eine Verschiebung der Debatte. Zunächst dominierten Artikel und Bilder von begeisterten Mädchen, die Kleider tauschen, energetischen Hipstern, die an coolen »Sharing Start-ups« basteln, sympathischen Rentnern, die in Repaircafés Radios vor der Mülltonne retten, und natursehnsüchtigen Städtern, die Brachen wiederbeleben. In letzter Zeit verdunkelte sich der Medienhimmel über dieser Idylle: Jetzt kommen die Bösen: Da trampeln alte Automobilsaurier auf der schönen neuen Spielwiese rum, auf hohe Gewinne spekulierende Kapitalisten schwärmen aus. Ein gefundenes Fressen auch für die Medien. Es brauchen nur die Vorzeichen ausgetauscht werden: Aus Sehnsucht und Hoffnung werden Angst und Empörung. Das dramaturgische Element bleibt. Die Emotionsebene kann weiterhin bedient werden. Erprobte Klischees werden bedient und in alten Gräben findet man sich auf vertrautem Terrain wieder. Das ist bequem und für einige mit dem Genuss der Selbstbestätigung verbunden. Aber sind so ein Verhalten und eine solche Betrachtungsweise für das Verständnis, was die Sharing Economy ist oder welche Auswirkungen sie haben wird, hilfreich?

Ich denke nicht. Natürlich ist es keine Frage, wer die Sympathiepunkte bekommt: die tauschenden Mädchen, schaffenden Hipster, reparierenden Rentner und erdverbundenen Städter auf der einen oder die großen Konzerne und Investoren auf der anderen Seite. Aber muss das eine dem anderen diametral gegenüberstehen? Oder muss es - wie Markus Euskirchen schreibt - bedeuten, dass »die marktorientierte und tauschbasierte Sharing Economy das solidarische Teilen kolonisiert«.

Dass Sharing Economy sich ausbreitet, steht außer Frage - ob auf Kosten des solidarischen Teilens, da bin ich mir nicht so sicher. Teilweise und zeitweise bestimmt. Es kann sie aber auch beflügeln. Nicht ausgeschlossen ist, dass die marktorientierte Sharing Economy auf anderem Gebiet wildert, nämlich im Garten etablierter Strukturen. In Zeiten, in denen ein wachsender Teil der Gesellschaft sich darüber bewusst wird, dass unser Wirtschaftssystem weder ökonomisch, ökologisch noch sozial nachhaltig ist, und unser politisches Establishment als unfähig oder zumindest unwillig zu substanzieller Kursänderung wahrnimmt, muss das keine schlechte Nachricht sein.

Nehmen wir das von Euskirchen angeführte Beispiel Carsharing. Es stimmt: Große Automobilkonzerne entdecken das Wachstumspotenzial, das die Vermietung von Autos bietet. Sie wollen auf dem neuen Markt Geld verdienen. Dennoch: Je nach Studie ersetzt ein Carsharing-Auto bis zu dreizehn oder mehr private Fahrzeuge. Zwar gilt es sogenannte Rebound-Effekte zu berücksichtigen, da Carsharing bei Menschen, die sonst kein eigenes Auto besitzen, zu erhöhter Nutzung führen. Jedes Carsharing-Auto wird letztlich aber überproportional weniger Privatfahrzeuge zur Folge haben. Weniger Stehzeuge in unseren Städten und somit weniger Ressourcenverbrauch sind die Folge.

Das ist wohl noch nicht die Lösung aller (Verkehrs-)Probleme, aber sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Wer immer daran Anteil hat, seien es Carsharing-Anbieter wie Drive Now und Car2go, Teilgemeinschaften von Freunden oder Hausgemeinschaften, dem spreche ich meinen Dank aus. Ich betrachte die marktorientierte und tauschbasierte Sharing Economy mit gemischten Gefühlen, plädiere aber dafür, nicht voreilig alte Bewertungsraster anzulegen. Aus festgefahrenen Grabenstellungen hat man keinen guten Überblick.

Der Text von Markus Euskirchen kann hier gelesen werden: dasND.de/sharing.

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