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Kein Bürokratiemonster

EU-Mitglieder selbst schuld an zu viel Regularien

  • Katharina Strobel, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.
Nicht Brüssel mache die Bürokratie, die komme von den Mitgliedsstaaten, entlastete eine EU-Arbeitsgruppe die Zentrale.

Bei der Übergabe des Anti-Bürokratie-Abschlussberichtes seiner EU-Arbeitsgruppe an EU-Kommissionschef José Manuel Barroso beschwor deren Chef Edmund Stoiber am Dienstag die europäische Idee und sprach aus, was sich sonst keiner zu sagen traut: »Die Mitgliedsstaaten müssen endlich in die Pflicht genommen werden. Sie sind für einen Großteil der EU-Regularien verantwortlich. Viele der Auswüchse entstehen in ihren nächtlichen Sitzungen. Zudem verursachen sie bei der Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht einen wesentlichen Anteil der bemängelten Bürokratie.« Aber allein Brüssel oder die EU-Kommission beziehen die Prügel.

Nicht an mangelnde Transparenz und überbordende Bürokratie sollten die Menschen denken, wenn es um die EU gehe, sondern an den Frieden und Wohlstand, die sie ihnen gebracht habe, meinte Stoiber. Den Anstieg des Akzeptanzverlustes der EU und wachsende EU-Skepsis sieht er in Brüssels schlechtem Image als intransparentes Bürokratiemonster begründet.

Sieben Jahre lang kämpfte sich die fünfzehnköpfige Arbeitsgruppe aus Ökonomen, Unternehmensberatern und Verbändechefs in 54 Sitzungen durch den Brüsseler Bürokratiedschungel. Das Ziel: Verwaltungsaufwand und damit Geld sparen. »Früher, in den 80er Jahren, war man der Auffassung, je mehr die EU regele, desto europäischer werde sie«, erinnerte Stoiber. »Heute wissen wir, dass keinem geholfen ist, wenn sich die Brüsseler Gesetzgebung in die kleinsten Details unseres Alltags einmischt.« Brüssel habe zu wenig Kompetenzen im Großen und zu viele Kompetenzen im Kleinen, kritisierte der Arbeitsgruppenchef.

Der Bayer verwies in seiner Ansprache auf Europas Stand in der Welt. Es könne nicht sein, dass es im Schnitt sieben Jahre dauere, bis ein EU-Gesetz von seiner ursprünglichen Idee zur Umsetzung komme.

Seine Arbeitsgruppe erarbeitete konkrete Vorschläge, von denen einige - wie die Akzeptanz elektronischer Mehrwertsteuer-Rechnungen beim Finanzamt - bereits zu Einsparungen geführt haben. Aber Stoiber sprach auch von einem Bewusstseinswandel, der sich von Brüssel bis in die Hauptstädte vollziehen müsse: Nicht alles, was geregelt werden könne, müsse geregelt werden. Zugleich müsse das Spannungsfeld zwischen dem Verlangen der Bürger nach mehr Sicherheit durch den Staat und der Angst vor dem Verlust von Freiheit besser austariert werden.

»Schizophrenie« nannte Stoiber die Forderung nach neuen Regeln einerseits und den Klagen über die zunehmende Bürokratie andererseits. »Ich glaube, tendenziell wird es mehr Regeln in unserer Welt geben.« Wie damit künftig umgegangen wird, ist noch unklar. Die Arbeitsgruppe forderte den Einsatz eines unabhängigen Organs, das künftig Bürokratiechecks durchführt und die Kosten von Gesetzen und deren Umsetzung benennt, bevor sie bestätigt sind.

Der scheidende EU-Kommissionspräsident Barroso warnte jedoch vor der Einführung einer weiteren bürokratischen Behörde, die das ohnehin komplizierte Brüsseler Verfahren noch undurchsichtiger machen werde. Bis eine Entscheidung fällt, hat die neue Kommission mit dem designierten Kommissionsvize, dem Niederländer Frans Timmermans, eine Art obersten Regulierungswut-Wächter. Sollten Timmermans bestimmte Gesetze überflüssig erscheinen, kann er ein Veto einlegen.

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