Protestperformance zum Nachahmen
Erdem Gündüz, der »Standing Man« von Istanbuls Taksim-Platz, wiederholt seine Aktion in Berlin. Warum?
Warum wollen Sie den »Standing Man« wiederholen?
Es ist ein Vorschlag an andere Menschen. Der »Standing Man« war eine Reaktion meines Köpers. Ich wollte protestieren, und mein Körper hat reagiert, an jenem Tag und in der bestimmten Situation auf dem Taksim-Platz. Viele Menschen haben ihre Gründe zu protestieren. Aber sie wissen nicht, wie sie ihren Protest artikulieren sollen und ob sie dabei erfolgreich sind. Aber sie haben Gründe.
Eine Artikulationsmethode wäre der »Standing Man«. Sind Sie damit einverstanden, dass die Menschen auf Ihre Protestform zurückgreifen?
Ja, natürlich. Mir würde das außerordentlich gefallen. Es gibt viele Leute auf der Welt, die ihre Gründe haben, stillzustehen, weil sie gegen Kriege sind, weil ihnen ihre Regierung nicht zuhört. In der Türkei wird gerade ein Krieg vorbereitet. Die Beziehungen zu den Nachbarländern verschlechtern sich extrem. In Ägypten kämpfen die Menschen gegen die Einschränkungen durch das Militärregime. Frauenrechte werden eingeschränkt, wogegen man vorgehen muss.
Können Sie die ursprüngliche Situation schildern? Haben Sie damals als Choreograf den »Standing Man« geprobt, die Aktion irgendwie vorbereitet?
Nein, das geschah spontan. An diesem Tag bin ich zum Taksim gegangen. Ich lebe in der Nähe und wollte protestieren. Aber Demonstranten wurden damals von der Polizei nicht auf den Platz gelassen. Ich habe dann einen anderen Weg gefunden.
Wie fing es an?
Ich war anfangs allein. Zu diesem Zeitpunkt hat die Polizei den Leuten noch erlaubt, auf den Platz zu gehen. Gruppen durften zwar nicht auf den Platz. Touristen aber war dies möglich, und ich bin einfach als Tourist auf den Platz gegeangen. Ich habe gehofft, das die anderen dann kommen, aber fünf Stunden lang war ich mehr oder weniger allein. Erst später, als die Information über Facebook lief, kamen Leute und standen hinter mir.
Was geschah in diesen ersten fünf Stunden?
Manche Leute waren interessiert und haben mich fotografiert. Andere standen um mich herum, aber sie standen nicht still. Ich wusste auch gar nicht, was hinter mir passiert, denn ich guckte zum Atatürk-Kulturzentrum. Das war mein Orientierungspunkt.
Warum ausgerechnet das Atatürk-Kulturzentrum?
Ich bin Künstler. Das war ein Heim für mich. Hier gab es Theater, Oper, viele Festivals. Vor fünf Jahren hat die AKP-Regierung es geschlossen. Sie will überhaupt ein ganz anderes Regime. Frauen sollen nicht mehr allein auf der Straße gehen können, sondern nur in Begleitung von Männern.
Es war also eine strategisch gute Position, nicht nur die Atatürk-Statue, sondern auch das Kulturzentrum im Blick zu haben?
Es waren auch nicht nur die Statue und das Kulturzentrum. Der Platz selbst trägt eine lange Geschichte von Kämpfen um Rechte in sich: Arbeiterrechte, Frauenrechte, politische Auseinandersetzungen. Auch die türkische Fahne ist für mich als Türke wichtig. Sie gab mir Kraft. Und Atatürk ist wichtig. Er hat Frauenrechte eingeführt, noch vor vielen anderen europäischen Ländern. Die Türkei brauchte nach dem Krieg Frauen als Arbeitskräfte, weil viele Männer gestorben waren. Und so hat er gleiche Rechte vor Gericht eingeführt. Und er hat auch Kirche und Staat, Kirche und Politik getrennt.
Was haben Sie gedacht, als nach fünf Stunden dann die ersten Menschen still hinter Ihnen standen?
Gar nichts. Wir alle haben ja nichts getan, sondern standen nur. Die Polizei hat uns dann attackiert. Daraufhin habe ich den Protest beendet. Es waren schon genug Menschen verletzt worden, offiziell 6000. Es sollten nicht noch mehr werden. Deshalb habe ich den Protest abgebrochen. Ich wurde aber nicht verhaftet, wie das später die türkischen Medien schrieben.
Warum soll Ihre Aktion in Berlin nun im künstlerischen Kontext wiederholt werden?
Ich bin ganz einfach ein Künstler, ein Choreograf. Ich interessiere mich auch für Video, für bildende Kunst, für Bildhauerei, für Poesie. Nun arbeiten wir als Künstler zusammen an diesem Projekt. Das macht mir Freude, auch weil es viele Künste verknüpft. Es wird eine Performance in einer Ausstellung sein. Ein Grund ist aber auch, dass eine Wiederholung des »Standing Man« auf dem Taksim nicht möglich wäre. Die Polizei würde dies sofort unterbinden. Das Feiern des zweiten Jahrestags der Proteste im Gezi-Park im Juni 2015 wird nicht möglich sein, weil die Polizei dies verhindert. Sie hat ja auch jetzt zum ersten Jahrestag die Leute nicht auf den Platz gelassen. Das ist die Situation. Zwar ist der »Standing Man« eine friedliche Form. Aber die Polizei denkt, wenn jemand den Taksim betritt, dann ist er ein Staatsfeind, ein Terrorist.
Was hoffen Sie, wird in Berlin bei der Performance geschehen?
Ich erzähle eine Geschichte, woher ich komme, was ich mache. Vielleicht kennt das Publikum meine Geschichte nicht. Aber wen ich getroffen habe, der kennt sie und teilt sie mit anderen. Und das ist wichtig.
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