Bundeswehr bekommt Bombodrom

Am eigentlich freien Himmel über der freien Heide düsen nun doch Kampfflugzeuge

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Kyritz-Ruppiner Heide, als »Bombodrom« bekannt geworden, befindet sich per Bekanntmachung seit dem 17. Oktober 2013 unter einem militärischen Übungsluftraum. Das wurde nur bislang kaum wahrgenommen.

Südlich des mecklenburgischen Ortes Kratzeburg im Nationalpark Müritz versperrt ein verärgerter Schwan Radfahrern den Weg. Das Tier hat sich hoch aufgerichtet, die Flügel ausbreitet und macht besorgniserregende Geräusche. Die Touristen sind beeindruckt von diesem Schauspiel, das sie belustigt, das ihnen aber auch ein wenig Angst macht. Plötzlich donnert über diese Szene ein Kampfflugzeug hinweg. Die Leute sind verwirrt. Klar, in der gar nicht so weit entfernten Kyritz-Ruppiner Heide in Brandenburg wollte die Luftwaffe einst bis zu 1700 Tiefflüge im Jahr trainieren und dabei sogar Bomben abwerfen. Aber aus der diesbezüglichen Weiternutzung des alten sowjetischen Truppenübungsplatzes, der unter dem Namen Bombodrom bekannt ist, wurde doch nichts. Die Urlauber sind ein bisschen verwirrt, doch dann widmen sie sich wieder ihrer Erholung. Vielleicht war das ja nur eine Sinnestäuschung oder ein dummer Zufall?

Nein, das war es offenbar nicht. Anwohner berichten, dass der Luftverkehr in der Gegend spürbar zugenommen hat. Zivile Maschinen sind zunehmend zu beobachten und auch Militärflugzeuge, die als besonders störend empfunden werden, weil sie einen ohrenbetäubenden Lärm erzeugen. Menschen aus Wallnitz, Zempow und Neuruppin bestätigen dies.

Gegenwehr hat sich bislang noch nicht formiert. Das mag überraschend sein, wo sich doch die Bürgerinitiative »Freie Heide« fast zwei Jahrzehnte lang gegen das Bombodrom engagierte. Es gab Ostermärsche, Friedenswanderungen und viele andere Aktivitäten. Doch nach dem Verzicht der Bundeswehr auf das Bombodrom im Jahr 2009 löste sich die Bürgerinitiative auf. Von dem Versuch, sie neu zu beleben, um sich für die Beseitigung der Munitionsbelastung einzusetzen, hat man nichts mehr gehört. Einige der Gründer und aktivsten Mitstreiter sind inzwischen verstorben oder weggezogen.

So kam es, dass sich ein Berliner der Sache annahm, der erst seit fünf Jahren seine Freizeit oft auf einem Wochenendgrundstück in Wallitz verbringt - also erst, seit das Bombodrom bereits für alle Zeiten erledigt schien. Anfangs begeisterte den 43-Jährigen aus der Hauptstadt, der seinen Namen vorerst lieber nicht in der Zeitung lesen möchte, »die Stille« in Wallitz. Doch dann kamen die Kampfflieger - immer mehr und immer häufiger. Das fiel ihm im Herbst vergangenen Jahres auf. Im Frühjahr begann er, bei der Bundeswehr und bei Politikern nachzufragen und intensiv zu recherchieren. Er stieß er auf einer Internetseite der Deutschen Flugsicherung, die zur Information von Sportfliegern gedacht ist, auf eine Karte, in die eine Sonderflugzone »ED-R 401 MVPA« eingezeichnet ist. Diese Zone reicht von der Insel Rügen im Norden bis fast an den Stadtrand von Berlin. Das Bombodrom gehört zu diesem militärischen Trainingsgebiet.

Aufschluss gibt eine bislang unbeachtet gebliebene Antwort von Markus Grübel. Der Staatssekretär im Verteidigungsministerium erklärte am 5. August 2014 auf Anfrage der Bundestagsabgeordneten Agnieszka Brugger (Grüne), dass die Flugzone ED-R 401 MVPA zehn Luftraummodule zusammenfasse, die von der Bundeswehr für Übungen gebucht werden können. Konsequenz ist dann offenbar die Umleitung des zivilen Luftverkehrs aus Sicherheitsgründen. Denn ED-R 401 MVPA ist laut Grübel mit der »13. Änderung der Bekanntmachung über die Festlegung von Gebieten mit Flugbeschränkungen« am 17. Oktober 2013 in Kraft getreten. Die Flugbeschränkungen gelten demnach ab einer Höhe von 10 000 Fuß - das sind rund 3300 Meter - und reichen bis 66 000 Fuß, also 22 000 Meter. Montags bis donnerstags darf von 8 bis 23.30 Uhr trainiert werden, freitags von 8 bis 17 Uhr. Die Höhenangaben beziehen sich anscheinend auf Passagierflugzeuge. Das bedeutet aber offenbar keineswegs, dass die in Rostock-Laage stationierten Eurofighter nicht auf weniger als 3300 Meter heruntergehen, auch wenn Brandenburgs Verkehrsminister Jörg Vogelsänger (SPD) dies annimmt, wie aus seiner Antwort auf eine Anfrage des Landtagsabgeordneten Axel Vogel (Grüne) hervorgeht. »Ein Zusammenhang zwischen der Nutzung der ED-R 401 und ›Tiefflugübungen‹ dürfte nicht gegeben sein«, vermutete Vogelsänger in seiner am 6. Oktober ausgegebenen schriftlichen Antwort. Erst dies wurde öffentlich wahrgenommen. Mehrere Zeitungen druckten dazu eine kurze Nachricht der Agentur dpa.

Für den 43-Jährigen steht indessen fest, dass Tiefflüge vorgekommen sind. Er hat Jets dicht über alte Eichen und über die Dächer des Dorfes donnern sehen und schätzte die Flughöhe auf 150 Meter. Auf seine Nachfragen reagierte die Luftwaffe zumeist ausweichend, gab sich ahnungslos. Einige Schreiben liegen dem »nd« vor. Zu einem konkreten Fall hieß es erst, da sei nichts gewesen. Nach nochmaligem Nachbohren räumte ein Oberfeldwebel von der Flugbetriebs- und Informationszentrale in Köln dann ein, dass die Auswertung von Radardaten ergeben habe, dass am genannten Tag doch zwei Kampflugzeuge im Abstand von einer halbe nautischen Meile (0,9 Kilometer) an der angegebenen Adresse in Wallitz vorbeigeflogen sind. Sie seien dabei oberhalb von 305 Meter über dem Boden gewesen. Oberhalb von 305 Metern könnte natürlich zugleich auch oberhalb der von Verkehrsminister Vogelsänger angegebenen 3300 Meter bedeuten. Das ist allerdings unwahrscheinlich. Der 43-jährige Berliner hat in einigen Fällen Kennzeichen an den Maschinen lesen können und auch die Piloten in ihren Kanzeln genau gesehen. Das wäre bei einem Abstand von mindestens 3300 Metern sicher nicht möglich gewesen. Ein Jagdflugzeug beobachtete der 43-Jährige im Sturzflug, es drehte dann in Richtung Bombodrom ab, das vom Dorf nur durch ein Waldstück getrennt ist. Ein weiteres Kampfflugzeug sah er tief über dieses Sperrgebiet auf sich zukommen. Der Mann wirkt absolut glaubwürdig, und er kann Fotos und kurze Videosequenzen vorlegen, die Kondensstreifen zeigen. Ein schier unglaublicher Krach ist auf den Filmchen zu hören. Demnach benutzt die Bundeswehr das Bombodrom also doch.

2009 hatte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg der Bundeswehr das Bombodrom nicht generell verweigern wollen. Der damalige Gerichtspräsident Jürgen Kipp versicherte den anwesenden Offizieren sogar ausgesprochen freundlich, Verständnis für die Notwendigkeit eines Übungsgeländes aufzubringen. Doch die Armee hätte die Bürger ordentlich in ihre Absichten einbeziehen und ein förmliches Planfeststellungsverfahren durchführen müssen, entschied das Gericht. Bei einem derartigen Großprojekt hätte es bis zur Realisierung mindestens zehn Jahre gedauert, wenn die Bundeswehr nun erst damit begonnen hätte. Das Verteidigungsministerium verzichtete und ließ verlauten, stattdessen werde die Luftwaffe im Ausland trainieren.

Jetzt liegt der Verdacht nahe, das Ministerium habe sich gedacht, es bekomme sein Trainingsgelände in der Kyritz-Ruppiner Heide einfacher, quasi klammheimlich per Bekanntmachung. Der rot-roten Landesregierung liegt diese Bekanntmachung vor. Sie wurde bei der Einrichtung der Sonderflugzone nicht beteiligt und sie musste dazu auch gar nicht gehört werden.

Einen versteckten Hinweis, dass Bürger sich innerhalb von zwei Monaten gegen die neue Flugzone juristisch wehren dürften, hat unser 43-Jähriger zu spät entdeckt. Derweil gewöhne die Bundeswehr, sagt er, die Anwohner langsam an den Lärm, der in der sowjetischen Phase noch unbeschreiblich größer gewesen sein soll. Es werde nun aber immer schlimmer. Alle zwei Tage, meist gegen 10 Uhr, gehe es los. Manchmal werde auch nachmittags »zwei Stunden lang Krieg gespielt«. Es handele sich jetzt um Höhenflüge, die jedoch ebenfalls sehr laut seien. Die Tiefflüge haben bemerkenswerterweise aufgehört, als die Grünen auf Bitten der Anwohner parlamentarische Anfragen stellten. Druck aufzubauen, scheinen also zu helfen. Inzwischen ist auch das Büro der Bundestagsabgeordneten Kirsten Tackmann (LINKE) an der Sache dran.

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