Raketenwerk verliert den Kunden
Aufkündigung der militärtechnischen Zusammenarbeit mit Russland trifft die Ukraine härter
Pauschal hatte Russland die Ukraine schon gewarnt, als das Gerangel um das Assoziierungsabkommen mit der EU in November 2013 in die heiße Phase ging: Es werde flächendeckende soziale Verwerfungen geben, weil Tausende Arbeitsplätze durch die Einstellung der Wirtschaftskooperation mit Russland vernichtet werden.
Kurz vor den Parlamentswahlen in der Ukraine legten russische Wirtschaftsexperten noch einmal nach und präsentierten konkrete Zahlen und Fakten. Vor allem zu drohenden Verlusten durch die Aufkündigung der militärtechnischen Zusammenarbeit mit Russland, wie sie der ukrainische Präsident Petro Poroschenko im Juni offiziell bekannt gab, drohe der Volkswirtschaft seines Landes ein Schaden von bis zu zehn Milliarden US-Dollar.
Mit Panikmache und Hetze hat das nichts zu tun. Auch um Auflösungserscheinungen vorzubeugen, hatte die Sowjetunion die Bruderrepubliken wirtschaftlich fest miteinander verbunden. Vor allem die industriell hoch entwickelten - Russland und die Ukraine. Aus den daraus resultierenden Abhängigkeiten haben sich beide bis heute nicht befreit. 70 Prozent der Rüstungsproduktion hängen von Zulieferungen des jeweils anderen ab. Die Sanktionen, mit denen Moskau und Kiew sich seit Beginn der Ukrainekrise gegenseitig überziehen, treffen daher beide - die Ukraine jedoch erheblich schmerzlicher.
Allein im Konstruktionsbüro Juschnoje in Dnjepropetrowsk, das bisher Komponenten für die Interkontinentalrakete Topol-M, deren seegestützter Modifikation Bulawa und die eisenbahngestützten SS-24 »Scalpel« Interkontinentalraketen herstellte, werden nach russischer Rechnung etwa 1000 Arbeitsplätze vernichtet. Dazu kommen Umsatzeinbußen von rund 2,5 Milliarden Dollar pro Jahr, wie das Moskauer Massenblatt »Komsomolskaja Prawda« schon im Juni schrieb.
Auch beim staatlichen Rüstungskonzern Artjom in Kiew, wo bisher die Luft-Luft-Rakete R-77 für russische Kampfjets gebaut wurde, und bei Motor-Sich in Saporoschje, das die Triebwerke für den russischen Hubschrauber Ka-60 lieferte, sind Controller am Werk. Sie raten, den Stellenplan drastisch zu kürzen.
Am ärgsten trifft es womöglich den ukrainischen wissenschaftlich-technischen Antonow-Komplex. Dessen Flugzeugwerke bei Kiew sind bekannt für auch im Westen begehrte schwere Militärtransporter. Aus der Kooperation beim Projekt des Mittelstrecken-Transporters Antonow-70 wird wohl nichts mehr. Und die Urheberrechte für den Bau des AN-140-Transporters hatte Moskau den Ukrainern schon vor Krisenbeginn abgekauft. Sie werden seither in Russland hergestellt. Das hat im Zuge der Sanktionen auch deren Export in die Ukraine untersagt.
Kiew, so glauben russische Experten, würde mindestens 20 Jahre und mehr als vier Milliarden Dollar brauchen, um etwas Gleichwertiges auf den Markt zu werfen. Denn durch die Einstellung der Zusammenarbeit mit Moskau würden die ukrainischen Waffenschmieden auch den Zugang zu russischen Hochtechnologien verlieren.
Völlig schmerzfrei vollzieht sich die Trennung des militärindustriellen Komplexes allerdings auch für Russland nicht. Der für Rüstung zuständige Vizepremier Dmitri Rogosin meint, es sei mit geringen Anlaufproblemen möglich, in russischen Werken die bisher in der Ukraine produzierten Zulieferteile herzustellen. Das jedoch halten Kenner für Zweckoptimismus. Hinzu kommt, dass auf die Ukraine bisher knapp 60 Prozent der gesamten russischen Rüstungsexporte entfielen. Zwar hofft Moskau auf China als Abnehmer, zittert aber vor dem Kleingedruckten, das die Volksrepublik dem Partner in solche Abkommen gewöhnlich diktiert.
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