Herbst und Schnupfen

  • Andreas Gläser
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Verreisen stellte vor Jahrzehnten oft eine strapaziöse Tagesaufgabe dar, selbst wenn es für meine Familie nur an die Ostsee oder in den Thüringer Wald ging. Vier Personen, zwei Koffer, ebenso viele Rucksäcke, keine Platzkarten; wenn ich mich richtig erinnere. Die Eisenbahn war prima frequentiert, mit gesprächigen Leuten, die sich mit der Situation arrangierten. Eine Reise ins thüringische Ilmenau kam mir vor wie eine Reise nach Tirol.

Und selbst wenn wir nur mit der S-Bahn bis Königs Wusterhausen oder Erkner fuhren, um von dort aus mit einem Rumpelbus nach Kagar oder Kagel zu gelangen, irgendwohin zwischen Wald und Wasser, aber noch nahe der Hauptstadt, so hatten wir doch mächtige Urlaubsglücksgefühle. Ich werde nicht vergessen, wie wir dort mit 20 Berlinern in einem kleinen Fernsehraum während der Olympischen Spiele das Handballfinale zwischen der Sowjetunion und der DDR sahen und völlig ausflippten. Eben waren wir noch am Ufer des Paddelbootparadieses völlig entspannt, nun beim Sport von Null auf 1980.

Diese FDGB-Feriensiedlungen für rund 77 bis 111 Seelen begannen mit dem ersten Wendewinter zu zerbröseln. In einer Fernsehsendung über das schöne Brandenburger Land tauchte das Heim in Kagar kurz auf, als Sperrmüllareal, was mich mehr berührte als der Untergang irgendeines Betriebes. Na ja. Ist ohnehin kein Umlandwetter mehr. Nichts mit einer Kahnpartie, auf der Deckeliegen oder Tischtennisspielen. Herbst + Schnupfen = Städtetourismus.

Heutzutage heißt es nicht nur einmal im Jahr, mobil zu sein, während des Sommerurlaubs oder zwischen den Jahren. Ich bin auch nicht in der totalen Urlaubsstimmung, hatte erst eine Woche in den Sommerferien. Aber da schon wieder 14 Tage Herbstferien angesagt sind, muss ich meinem heranwachsenden Weltbürger was bieten. Denn wenn er sich für eine Woche vor meinen Computer setzt, meckere ich mit ihm und setze mich selber davor, solange ich stärker bin. Ein Trip ans Mittelmeer fällt aus, zu teuer; mindestens 1000 Euro, seitdem wir dem Schulferiendogma ausgeliefert sind. Auch viel zu spät dran gedacht, selber schuld.

In meinem coolen Hauptstadtbezirk sind wir die Asozialen, weil wir während der Ferien in Deutschland bleiben. Nun heißt es: Auf nach Dresden und Leipzig, Museen und Galerien besuchen. Wir werden uns beim Fußball wundern, Rasenballsport gegen Verein für Leichtathletik 1848, dem Aufschwung Ost für ein Spiel zur Brotzeit beiwohnen. Ferienzeit, Reisezwang. Bus, Hostel, Bus, Hostel, Bus. Habe schon alles gebucht, bin sogar meinen Schnupfen zu 77 Prozent los geworden. Es beginnt zu kribbeln, positiv zu krabbeln. Dabei ist mein Sohn auch zufrieden, wenn er von mir einen Gutschein über 333 Euro für ein Computer-Kaufhaus bekommt. Soll aber nicht sein, aus erzieherischer Sicht.

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