Auf Lulas Spuren
Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff erringt mit Stichwahlsieg gegen Herausforderer Aécio Neves zweite Amtszeit
»Mit Dilma kam der Regen, mit Dilma kam der Regen«, skandierten Tausende im Nieselregen auf der Avenida Paulista, dem Finanzzentrum von São Paulo, als am Sonntagabend das Ergebnis der zweiten Runde feststand: Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei PT kam auf 51,64 Prozent der Stimmen und wurde damit für vier weitere Jahre im Amt bestätigt. Aécio Neves, Kandidat der rechtsliberalen PSDB, erzielte 48,36 Prozent der Stimmen. Seit Monaten liegt die Megametropole buchstäblich auf dem Trockenen, zwei Drittel der Paulistanos müssen bereits zuweilen auf frisches Leitungswasser verzichten.
In einem der knappsten Wahlergebnisse in der Geschichte Brasiliens trennten nur 3,4 Millionen Stimmen die beiden Kandidaten. »Dilmas Wiederwahl bedeutet eine Niederlage des elitären Programms der PSDB und einen Sieg der Ärmsten«, sagte der 19-jährige Student Fabio di Fabio am Rande der Feierlichkeiten in São Paulo. Die Afrobrasilianerinnen Sara Santos und Mariana Carvalho freuten sich, dass es mit der »Politik der Chancengleichheit weitergeht«. Ein frustrierter Neves-Fan rief aus seiner Luxuskarosse: »Weg mit Euch Kommunisten, ich wandere aus!«
Rousseff und Neves hatten sich zuvor einen aggressiven Wahlkampf geliefert, gerade die sozialen Netzwerken quollen über von Klassenhass und rassistischen Attacken gegen Schwarzen und Arme. Freundschaften bei Facebook wurden nach politischen Diskussionen aufgekündigt. Die Stimmung im Land war von extremer Polarisierung geprägt, in mehreren Städten gingen in den letzten Tagen Wähler aufeinander los.
Am Freitag beschuldigte die Wochenzeitschrift »Veja«, Sprachrohr der rechten Opposition, in großer Aufmachung Ex-Präsident Lula und Rousseff, sie hätten »alles« über den jüngsten Korruptionsskandal im halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras gewusst. Doch wie schon vor den Wahlen 2006 und 2010 ging diese Offensive in letzter Minute ins Leere.
Während Neves im Süden, Südosten und im Mittelwesten des Landes die Nase vorn hatte, gewann Rousseff in Amazonien und mit sensationellen 72 Prozent im Nordosten. Dort, im ehemaligen Armenhaus Brasiliens, profitieren besonders viele Menschen von den Sozialprogrammen der Regierung, und dort sich die Modernisierung des Landes in zwölf Jahren PT-Regierung besonders deutlich geworden.
In ihrer ersten Ansprache nach der Wiederwahl versprach die überglückliche Präsidentin in einem Hotel in Brasília, gegen die »Straflosigkeit« bei Korruptionsfällen vorgehen zu wollen. »Manchmal haben in der Geschichte knappe Ergebnisse größere und schnellere Veränderungen bewirkt als sehr klare Siege«, sagte Rousseff, »das ist meine Hoffnung«. Sie wolle eine Reform des Wahlsystems einleiten, in Zusammenarbeit mit dem Parlament bei gleichzeitiger Mobilisierung der Bevölkerung durch eine Volksabstimmung. Ihre zweite Amtszeit werde im Zeichen des Dialogs stehen, beteuerte die als unnahbar geltende Staatschefin, »ich möchte auch mit allen sozialen Bewegungen und den Kräften der Zivilgesellschaft diskutieren.«
Mit Erleichterung wurde das Ergebnis von den progressiven Regierungen der Region aufgenommen, Cristina Fernández de Kirchner aus Argentinien und der Ecuadorianer Rafael Correa gehörten zu den ersten Gratulanten. »Ein Sieg der Völker Lateinamerikas und der Karibik«, twitterte Venezuelas Präsident Nicolás Maduro.
Im Parlament jedoch wird Rousseff eine starke Opposition gegenüberstehen. Dort werden mehr als je zuvor das Agrobusiness, andere Unternehmer, konservative Evangelikale oder die Vertreter einer reaktionären »Sicherheitspolitik« den Ton angeben, die PT stellt nur noch 70 von insgesamt 513 Abgeordneten. Außerdem gab es am Sonntag in 14 der 27 Bundesstaaten Stichwahlen um das Amt des Gouverneurs. Rio de Janeiro und sechs weitere Staaten werden künftig von der Zentrumspartei PMDB regiert, die auch den alten und neuen Vizepräsidenten Michel Temer stellt.
Mehr ist Dilma Rousseff auf Kompromisse mit dem bürgerlichen Lager angewiesen. Wie bei der »Wasserkrise« in São Paulo sind nun politisches Gespür und Verhandlungsgeschick gefragt. Ein rascher Wandel wird schwierig.
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