Proben für den Betonplatz
Die DFB-Frauen testen gegen Schweden auf Kunstrasen, dem Belag, auf dem 2015 die WM in Kanada gespielt wird
Für die Einheimischen in Örebro ist es noch immer das »Eyravallen«. So heißt im Volksmund das Fußballstadion in der 130 000-Einwohnerstadt westlich von Stockholm, auch wenn das von den Erstligisten Örebro SK (Männer) und KIF Örebro (Frauen) genutzte Fußballstadion längst nach einer Immobilienfirma benannt ist. Hier haben sich während der WM 1958 sogar Schottland und Frankreich duelliert, doch von den alten Holztribünen ist nichts mehr übrig. Auch die Spielfläche ist keine natürliche mehr: In Örebro liegt ein Kunstrasen mit dem Gütesiegel »FIFA 2 Star«. Darauf wird die deutsche Frauen-Nationalmannschaft an diesem Mittwoch gegen Schweden eine Neuauflage des EM-Halbfinals 2013 austragen, um den Ernstfall für die WM 2015 in Kanada zu testen.
Dass nächsten Sommer in den sechs Spielorten Edmonton, Montreal, Moncton, Ottawa, Vancouver und Winnipeg allerorten - wie bei der Generalprobe der U20-WM - auf Kunstrasen gespielt wird, gilt ungeachtet einer beim Gerichtshof für Menschenrechte in Toronto eingereichten Klage prominenter Fußballerinnen als ausgemacht. »Wir müssen da auf Kunstrasen spielen«, glaubt Bundestrainerin Silvia Neid, »es sei denn, wir fahren nicht hin.«
Die 50-Jährige fiel einst aus allen Wolken, als sie vom Kick auf Kunstrasen erfuhr und in ihrer ersten Erregung wetterte sie: »Jogi Löw spielt mit seinen Jungs die WM in Brasilien auch nicht auf Sand.« Kanadische Medien berichteten alsbald vom »Turf war« - vom Rasenkrieg. Mittlerweile fallen die Reaktionen gemäßigter aus. Mittelfeldspielerin Melanie Leupolz hat jetzt vor Ort in Örebro festgestellt: »Ich finde, es ist ein sehr schönes Stadion. Der Platz ist in Ordnung.«
Alles Klagen nutzt vermutlich auch nichts: »Die Spielerinnen empfinden Kunstrasen als belastender«, sagte zwar Steffi Jones, Direktorin des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Sie berichtete aber auch, dass im Frühstadium der Debatte die bei Europas Dachverband UEFA für die Fußballerinnen zuständige Karen Espelund den Protest beim Weltverband platziert habe. Erfolglos. Denn die FIFA machte seinem Ausrichter nachträglich Zugeständnisse. Die kanadischen Organisatoren hatten partout keinen siebenstelligen Dollar-Betrag dafür ausgeben wollen, in ihren Mehrzweckarenen temporär echten Rasen zu verlegen. »Es gibt keinen Plan B«, lautet die Standardantwort der FIFA-Funktionärin Tatjana Haenni. Und ist nicht Kunstrasen im Frauenfußball ohnehin weit verbreitet?
Die beim FC Rosengard in Schwedens Küstenstadt Malmö spielende Anja Mittag kennt es gar nicht anders, als den Ball über Plastikhalme rollen zu lassen. Die skandinavischen Nationen können nur auf diesen ganzjährig einen geordneten Spiel- und Trainingsbetrieb garantieren. Auch die zu den Klägerinnen zählende Weltfußballerin Nadine Angerer ist im Grunde hin und her gerissen. Bei ihrem Gastspiel für die Portland Thorns in der National Women Soccer League (NWSL) hat die Torhüterin die Vorzüge des künstlichen Untergrunds schätzen gelernt - wenn die neueste Generation der Böden verwendet wird.
Wie heikel nichtsdestotrotz die Thematik bleibt, zeigte die Reaktion des französischen Nationaltrainers Philippe Bergeroo am Samstag nach dem Länderspiel in Offenbach: »Sehen Sie mir nach, dass ich dazu nichts sagen möchte, aber mein Land bewirbt sich für die EM 2019. Da möchte ich keine Probleme bekommen.« Die Zurückhaltung erscheint plausibel, denn Anwälte der klagenden Spielerinnen werfen der FIFA und nationalen Verbänden vor, Druck ausgeübt zu haben. Den französischen Nationalspielerinnen Camille Abily und Elise Bussaglia wurde demnach nahegelegt, dass ihre Beteiligung an der Klage der französischen WM-Bewerbung schaden könne. Beide haben tatsächlich ihre Klage mittlerweile zurückgezogen. »Dafür sind 20 neue Namen auf der Liste. Es sind jetzt 62«, sagte Anwalt Hampton Dellinger.
Experten, die sich wie Wolfgang Potthast am Kölner Institut für Biomechanik und Orthopädie der Problematik von Kunstrasenplätzen widmen, können »keine deutlichen Unterschiede« beim Verletzungsrisiko ausmachen. Fakt ist allerdings auch, dass die deutschen Fußballerinnen zum Freundschaftsspiel im Juni in Vancouver, dem auserkorenen Schauplatz des WM-Endspiels, einen ausgetretenen Flickenteppich vorfanden. »Der schlechteste Kunstrasenplatz, auf dem ich je gespielt habe - wie Beton«, lästert Angerer noch heute.
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