Künftiger Vertriebenenchef sucht Ausgleich mit östlichen Nachbarn
Mit Bernd Fabritius könnte das lang gehegte Misstrauen aus dem Verhältnis zwischen dem Bund der Vertriebenen und den Staaten Ost- und Südosteuropas verschwinden
Berlin. Bernd Fabritius soll am Freitag zum neuen Präsidenten des Bundes der Vertriebenen (BdV) gewählt werden. Anfang Juli hatte das BdV-Präsidium den bisherigen Vize-Präsidenten und CSU-Bundestagsabgeordneten einstimmig als Nachfolger der umstrittenen CDU-Politikerin Erika Steinbach vorgeschlagen. Steinbach, Jahrgang 1943 und im heutigen Polen geboren, hatte nach 16 Jahren ihr Amt zur Verfügung gestellt.
Erika Steinbach, seit 1990 Mitglied der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag, ist als Verfechterin der reaktionären »Charta der Heimatvertriebenben« aus dem Jahre 1950 in den östlichen Nachbarländern weithin als »Revanchistin« regelrecht verhasst. Nicht unmaßgeblich trugen dazu in der Vergangenheit barsche Äußerungen insbesondere gegenüber Polen bei, die ihr auch in Deutschland heftige Kritik eintrugen. Nicht vergessen hat man ihr, dass sie mit einigen Abgeordneten ihrer Fraktion im Jahr 1991 im Bundestag der Anerkennung der deutsch-polnischen Grenze ihre Zustimmung verweigert hatte.
Der 49-jährige Fabritius ist ein gebürtiger Siebenbürger Sachse aus Rumänien und gehört damit weder der sogenannten ersten oder zweiten Generation der Vertreibenen. Er gilt, anders als Steinbach, als ruhig, versöhnlich und diplomatisch. Ungewöhnlich in dem lange Jahre von Revanchisten und unverbesserlichen Nazis geprägten, heute als konservativ geltenden Verband erscheint, dass Fabritius mit einem Mann in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebt.
Eines stellte der Neue aber gleich nach seiner Nominierung im Juli klar: Er will sich nicht verstecken und kein Leisetreter sein. »Ich bin mit Sicherheit nicht weniger kämpferisch als die amtierende Präsidentin Erika Steinbach«, betonte er damals. Doch weit mehr als seine Vorgängerin will er nach seiner Wahl das Verhältnis seines Verbandes zu Polen verbessern.
»Ich werde mich bemühen, das Verhältnis zwischen unserem Verband und Polen zu entspannen«, sagte der Bundestagsabgeordnete der Zeitung »Die Welt« vom Mittwoch. In einem modernen Europa brauche es keine Feindbilder mehr. Er wolle »Vertreter der Deutschen aus den heute zu Polen gehörenden Gebieten auch mit Vertretern der polnischen Regierung zusammenbringen«, so Fabritius. Ziel sei es, ein klares Signal nach Polen zu senden. »Es geht doch heute nicht mehr vorrangig um materiellen Ausgleich, sondern um die moralische Rehabilitierung der Vertriebenen«, sagte Fabritius. Dass viele Vertriebene mit dem Vorwurf leben müssten, selbst Schuld an ihrem Schicksal zu sein, sei »unerträglich«.
Fabritius ist ein Aussiedler aus Rumänien. Als nach dem Zweiten Weltkrieg Millionen von Deutschen ihre Heimat im Osten verlassen mussten, war er noch gar nicht geboren. Trotzdem gibt es für ihn keinen Zweifel, ein richtiger Vertriebener zu sein. Im Rumänien Ceausescus, so erzählt er, verspürte er als junger Mensch den »Vertreibungsdruck« gegen die deutsche Minderheit am eigenen Leib.
Bernd Fabritius wurde 1965 in Agnetheln in Siebenbürgen (auch Transsilvanien, rumänische Bezeichnung: Ardeal) geboren. Wie viele andere litt seine Familie unter den Schikanen, denen die deutschsprachige Minderheit der Siebenbürger Sachsen im kommunistischen Rumänien ausgesetzt waren. Schon 1969 hatten die Eltern einen Ausreiseantrag gestellt, der aber erst 1984 bewilligt wurde. Die Familie zog in die Nähe von München. Fabritius studierte Sozialverwaltung, politische Wissenschaften und Jura und ließ sich 1997 als Rechtsanwalt in München nieder. Seit 2003 ist er Mitglied der CSU, für die er seit 2013 im Bundestag sitzt.
In der Vertriebenpolitik ist Fabritius schon lange aktiv. Er ist Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen und Präsident der Föderation der Siebenbürger Sachsen in aller Welt. Seit 2010 ist er einer der BdV-Vizepräsidenten. mit Agenturen
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