Sozialdemokraten unter sich
Ökonom Piketty und Bundeswirtschaftsminister Gabriel fehlt der richtige Streitpunkt
Wer von der Auseinandersetzung zwischen dem »Rockstar« unter den Ökonomen, Thomas Piketty, und dem ehemals »roten Siggi«, heute Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), eine knallharte Aussprache über den Kapitalismus erwartet hatte, wurde gestern enttäuscht. Das Wort Kapitalismus kam nur am Rande vor, einmal zitierte Gabriel kurz Marx. Dabei ging es immerhin um die zentrale These aus Pikettys Buch »Das Kapital im 21. Jahrhundert«, wonach durch die steigende Bedeutung der Finanzbranche die Ungleichheit der Einkommen besonders zugenommen hat. Piketty geht davon aus, dass das eingedämmte Wirtschaftswachstum und die parallel dazu überproportionale Zunahme der Kapitaleinkünfte besonders stark auf das Auseinanderklaffen der Einkommen wirke. Der Trend habe sich besonders in den letzten Jahrzehnten verschärft. Im Klartext: Wer Besitz und Kapital hat, wird überproportional reicher als jene, die nur von Lohnarbeit leben müssen.
Piketty warnt davor, dass die ungleiche Vermögenskonzentration zur Gefahr für die Demokratie werden könnte. Dies ist beunruhigend, da der Ökonom auch suggeriert, dass die Ungleichverteilung systemimmanent sei - Sozialstaat hin oder her. Gerade weil er in seinem Buch die wichtige Aufgabe übernommen hat, die heutige Ungleichheit historisch bis ins Ancien Régime nachzuzeichnen, ist es verwunderlich, wie es in der Diskussion mit Gabriel zu diesem schlichten Resümee kommen konnte: Schuld an der Misere sei die unmoralische Raffgier von »Supermanagern«. Würde man deren Schalten und Walten durch politische Regeln in den Griff bekommen, wäre für Gabriel eigentlich die Welt wieder in Ordnung.
So ging es im Gespräch letztlich nicht um ökonomische Grundsatzdebatten, sondern schlicht um steuerpolitisches Klein-Klein: Während sich Gabriel Pikettys Buch als Kampf gegen neoliberale Kräfte zurecht legte, lehnte er trotzdem den direkten Eingriff in Form der Vermögensteuer strikt ab: »Die nationale Vermögensteuer ist tot«, so Gabriel. Er ging sogar soweit, den schon von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder bemühten »Dritten Weg« wieder zu benennen, um klar zu machen, dass es zwischen Kommunisten und Neoliberalen nur die Sozialdemokraten als vernunftgesteuerte Kraft gebe. Dabei stellte er die SPD ebenso bloß wie den Koalitionspartner, indem er eingestand, dass die wirtschaftspolitische Debatte der letzten Jahrzehnte »in die Irre« geleitet habe. Die daraus resultierende Ungleichheit komme die Staaten »ökonomisch und sozial teuer zu stehen«, so Gabriel. Auch gestand er ein, dass sich Deutschland in der Einkommensverteilung gefährlich den USA annähere.
Doch geht es um konkrete Schritte, bemüht Gabriel gern das Ausland, um nationales Nichtstun zu rechtfertigen: Auf europäischer Ebene sei eine Gleichstellung steuerlicher Instrumente wirklich sinnvoll - Deutschland allein könne nichts mehr tun. Hierin stimmte ihm Piketty zu und sprach sich deutlich für eine Steuerunion aus, allerdings - gemäß seinem etwas radikaleren Tenor in der Debatte - für strengere Handhabungen.
Der einzige wirkliche Streitpunkt blieb die Vermögensteuer: »Es zeugt einfach von gesundem Menschenverstand, die reichen Teile der Bevölkerung mehr zu besteuern«, so Piketty. Auf Konfrontationskurs ging der Ökonom auch zu Bundeskanzlerin Angela Merkels (CDU) Spardogma: Die Geschichte Europas habe gezeigt, dass jene Länder, die schon im 19. Jahrhundert einen strengen Sparkurs gefahren und kaum investiert hätten, letztlich von anderen überholt wurden. Damit bewegt sich Piketty ganz im Fahrwasser des linken Flügels der französischen Sozialdemokraten (PS). Allerdings will Präsident François Hollande sich aus Angst vor dem deutschen Partner nicht auf die Debatte einlassen. Piketty ist tatsächlich im sozialdemokratischen Lager zu Hause: 2007 beriet er die PS-Politikerin Ségolène Royal während ihrer Kampagne für das Präsidentschaftsamt.
Und nicht nur die Sozialdemokraten können mit Pikettys Analyse sehr gut leben. Auch »engagierte« Multimilliardäre wie Bill Gates pflichten ihm bei: Allerdings stimmt Gates in die Kritik vieler Ökonomen ein, die zwar systematische Ungleichheit nicht bestreiten, aber meinen, dass diese Entwicklung nicht auf das zunehmende Wachstum der Kapitalerträge zurückzuführen sei. Sie argumentieren, dass die Vermögenden nicht nur Werte anhäuften, sondern auch schafften.
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