Die Angst als ständiger Begleiter
Hertha BSC zwischen sportlicher Talfahrt und wirtschaftlichen Rekordzahlen
Der Fußball macht’s möglich. Nicht selten gibt es auch nach einem Remis Gewinner. Trotzt ein krasser Außenseiter beispielsweise dem großen Favoriten einen Punkt ab, erklärt er sich gern mal zum Sieger. Endet ein unterhaltsames und dazu noch torreiches Spiel Unentschieden, hat entweder das Publikum oder gleich der ganze Sport gewonnen. Eine recht überzeugende Darbietung gelang am Montagabend auch den Verantwortlichen von Hertha BSC: Auf der ordentlichen Mitgliederversammlung präsentierten sie die besten Zahlen seit langer, langer Zeit. »In 16 Jahren konnte ich noch nie so erfolgreich berichten«, erklärte Ingo Schiller. Seit 1998 ist er Geschäftsführer des Klubs - und verkündete für die Saison 2013/2014 einen Gewinn von 13,4 Millionen Euro. Präsidium und Aufsichtsrat wurden nach ihren Geschäftsberichten zudem fast einstimmig entlastet. Mit einem Gefühl des Sieges wurde die Vereinsführung von den 1174 stimmberechtigten Mitgliedern nach zweieinhalb Stunden dennoch nicht entlassen.
Für eine gelöste und bisweilen heitere Atmosphäre sorgten in der Messehalle 20 an der Masurenallee nur die Amateurabteilungen des Klubs. Die Kegler hatten wieder die Bewirtung übernommen, wohlwollend ließen sich die Gäste Bockwurst in Currysauce, Wiener Würstchen mit Kartoffelsalat oder Käsekuchen schmecken. Ein Beispiel an den Profifußballern wolle sich sein Zweitligateam aber nicht nehmen, sagte »Kegelkönig« Hans-Joachim Bläsing: »Wir wollen aufsteigen, also wollen wir auch auswärts gewinnen.« Die Bundesligafußballer holten am 22. Februar den letzten Sieg in der Fremde. Gerd Welker warb für die neue Ü 70-Mannschaft. »Kapitän? Ick!«, gab der Vorsitzende der Tischtennisabteilung im feinsten Hauptstadtdialekt zu Protokoll. Lutz Kirchhoff sprach für die Amateurfußballer: »Fast alle unsere Mannschaften sind noch im Pokal vertreten«, sagte der Abteilungsleiter und wunderte sich nur kurz über Raunen und Gelächter. Die Profimannschaft war wieder mal früh, und wieder mal an einem unterklassigen Gegner im DFB-Pokal gescheitert.
Nach dem Auftritt des Gesamtvereins Hertha BSC e.V. wurde die Stimmung plötzlich bedrückend. Die meisten waren eben nicht gekommen, um Einzelheiten von den Zweitligaboxern oder vom Berliner Pokalsieg im Tischtennis durch die dritte Männermannschaft zu erfahren. Die meisten waren gekommen, um Antworten zur sportlichen Krise der Profifußballer zu bekommen - und bestenfalls gar noch einen möglichen Fahrplan aus dieser heraus. Hertha BSC steht nach elf Spieltagen mit nur elf Punkten auf Rang 14, die Berliner trennen nur zwei Zähler von Schlusslicht Stuttgart.
Die Interessenverhältnisse schlagen sich auch zahlenmäßig nieder: Nur ein verschwindend kleiner Teil der verkündeten Rekordmitgliederzahl von 32 400 unterstützt in erster Linie nicht die spielenden Akteure der Hertha BSC GmbH & Co. KGaA. So lautet der umständliche Titel der ausgegliederten Profifußballabteilung. Und den Mehrheits- und Interessenverhältnissen gemäß wurde es emotional, als Präsident Werner Gegenbauer, Geschäftsführer Ingo Schiller und Manager Michael Preetz an der Reihe waren. Schiller hatte die angenehmste Aufgabe, weil er Erfolge verkünden konnte. Bei Einnahmen von gut 104 Millionen Euro und Ausgaben von knapp 91 Millionen blieb in der vergangenen Saison ein Gewinn nach Steuern von 13,4 Millionen Euro übrig. Seine Verbindlichkeiten konnte der Klub im selben Zeitraum von 36,8 Millionen auf 24,4 Millionen Euro drücken. Und sein Eigenkapital stieg von null auf 22,9 Millionen Euro.
Verantwortlich für die beeindruckende Bilanz ist der Einstieg des Finanzinvestors Kohlberg Kravis Roberts & Co. L.P., kurz KKR. Für 61,2 Millionen Euro erwarb das US-Unternehmen vor rund neun Monaten 9,7 Prozent der Anteile an Herthas Profiabteilung. Fast nichts ist über eine Einflussnahme in die Belange des Klubs bekannt. Sicher aber ist, dass Investoren wie die KKR, die im Sommer mit ihrem ersten Aktien-Hedgefond gescheitert ist, Rendite wollen. Diesem vagen Unbehagen trat Gegenbauer entgegen und versicherte, dass Hertha BSC eine klarer Befürworter der »50+1-Regel« sei und der Verein alle Entscheidungen selbst treffe. Sicher ist aber auch noch, dass KKR seine Beteiligung an der als Kapitalgesellschaft ausgegliederten Profiabteilung von Hertha BSC jederzeit - und ohne weitere Finanzspritze - auf 33,3 Prozent erhöhen kann. Im Gegenzug würde für den Klub die Zahlung der jährlichen Lizenzgebühr an KKR in Höhe von vier Millionen Euro entfallen.
Derlei Details interessierten am Montagabend niemanden. Und auch der Applaus für die wirtschaftlichen Rekordzahlen hallte kaum nach - er wurde erstickt von der allseits spürbaren Abstiegsangst. Michael Preetz wurde gefragt, wie er angesichts der sportlichen Talfahrt jüngst verkünden konnte, Trainer Jos Luhukay könne jederzeit seinen Vertrag verlängern. »Wenn wir die erste problematische Phase nach zweieinhalb Jahren nicht überstehen, haben wir etwas falsch gemacht.« Mit diesem Aufruf zur Geschlossenheit gelang es dem Manager nicht, die Mitglieder auf seine Seite zu ziehen. Ein Fan brachte es auf den Punkt: »Die sportliche Krise dauert schon das ganze Jahr 2014 an.« Applaus, zurecht.
Von 29 Pflichtspielen konnte in diesem Jahr konnte Hertha BSC nur ganze sieben gewinnen, darunter ist die Erstrundenbegegnung im Pokal gegen den Regionalligisten Viktoria Köln. In der Bundesliga war es ein Sieg gegen den Absteiger Eintracht Braunschweig, jeweils zwei gegen die ebenfalls kriselnden Klubs VfB Stuttgart und Hamburger SV sowie ein glücklicher Erfolg gegen den VfL Wolfsburg. Auch, und vor allem das erneut frühe Ausscheiden im DFB-Pokal brachte die Fans auf die Barrikaden. Nach der Niederlage gegen den Drittligisten Arminia Bielefeld hingen sie im darauffolgenden Ligaspiel in Paderborn ein Plakat mit dem Schriftzug »Pokal-Versager« auf.
Nach der Partie beim Aufsteiger hing nur noch der Schriftzug »Versager« am Zaun. Eine deutliche, vielleicht auch überzogene Kritik. Aber sie kommt gerade auch von denjenigen, die bei allen Spielen der große Rückhalt der Mannschaft sind - die Fans aus der Ostkurve. Und irgendwie erwarten angesichts solch wirtschaftlicher Zahlen, die Transfers wie die von Salomon Kalou oder John Heitinga möglich machen, die meisten dann auch mal einen Sieg gegen Klubs wie den SC Paderborn oder den SC Freiburg. Weil dies aber nicht gelang, konnte Michael Preetz nur auf die lange Verletztenliste verweisen. Zumindest im offensiven Mittelfeld - also in Spielgestaltung und -kontrolle sowie dem Herausspielen von Torchancen - das zuletzt auch beim 0:2 gegen Hannover wieder die ganz große Schwachstelle war, ist das nicht nur eine Ausrede. Die Langzeitverletzten Alexander Baumjohann und Tolga Ciğerci sind nicht zu ersetzen. Beide kommen so schnell nicht zurück. Und auch sonst konnte den Mitgliedern die Sorge um den dritten Abstieg in fünf Jahren nicht genommen werden. Die Angst bleibt vorerst Herthas ständiger Begleiter.
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