Der Weg ist der Weg
Ein Gespräch über den Sozialismus nach dem Sozialismus eröffnet die diesjährige Peter-Hacks-Tagung
Sepp Herbergers Satz ist längst zum geflügelten Wort geworden. Besonders gerne verwenden ihn Fußballtrainer, die eine Niederlage ins Positive zu wenden trachten, um im bitteren Moment dem Frust von Spielern und Anhängern, um der Häme der Gegner zu entgehen: »Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.«
Was in der Bundesliga leicht über die Lippen geht, da der nächste Spieltag meist schon am Horizont der kommenden Woche aufschimmert, lässt sich nicht ohne weiteres behaupten in jenem historischen Zusammenhang, den der Dichter Peter Hacks als »finale Niedergangsepoche« gekennzeichnet und den der US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama als »Ende der Geschichte« gefeiert hat. Aber der Untertitel der Auftaktveranstaltung zur diesjährigen »wissenschaftlichen Tagung zu Werk und Leben von Peter Hacks« tut genau das. »Nach dem Sozialismus ist vor dem Sozialismus« steht da. Man darf, nimmt man den Satz beim Wort, vermuten, dass bereits fleißig trainiert wird, um beim nächsten Versuch die Meisterschaft einzufahren, oder wenigstens den Spieltagssieg.
Nicht ob es einen neuen Anlauf geben muss, steht demnach zur Debatte, sondern wie. Nehmen wir die Podiumsdiskussion an diesem Freitagabend im Pfefferwerk-Theater also als taktische Besprechung. Dass es bei einer solchen nicht unbedingt harmonisch zugehen muss, ahnt, wer die Zusammensetzung der Runde zur Kenntnis nimmt: Sahra Wagenknecht sitzt dort mit Gustav Seibt und Friedrich Dieckmann. Der Disput, den Rayk Wieland zu moderieren hat, dreht sich um die »Mach- und Wünschbarkeit von Sozialismus«.
Was aber eint die Disputanten in der Erörterung von Fragen wie jener, was die Kunst koste und wer sie sich leisten könne und wie eine Gesellschaft beschaffen sein solle, in der Gleichheit mehr ist als die Verteilung des Mangels? Es sei ihre ausgewiesene Hacks-Kennerschaft, erklärt Matthias Oehme, seit 2012 Vorsitzender der ausrichtenden Peter-Hacks-Gesellschaft, am Telefon. Zwar ausgehend von Hacks und seinen Überlegungen, sei hier aber wohl kein Gespräch über den Dichter zu erwarten, sondern darüber, »wie ein Sozialismus dem Individuum die Freiheit geben kann, die er ihm verspricht«. Wie, wohlgemerkt, nicht ob.
Die eigentliche Tagung, zum siebten Mal ausgetragen, findet am Folgetag von 10 bis 17 Uhr im Magnus-Haus am Kupfergraben statt. Nebenan wohnt Angela Merkel. »Ökonomie bei Hacks« ist diesmal das Thema, der Titel: »Reiche Gleichheit«. Die Auseinandersetzung mit Hacks, so Oehme, lohne sich nicht nur in ästhetischer, sondern auch in politischer Hinsicht. Obwohl es sich ausdrücklich um eine akademische Veranstaltung handelt, die den aktuellen Forschungsstand in Sachen Hacks repräsentieren und weitere Arbeiten anregen will, sei die Vorbereitungsgruppe bei der Auswahl des jeweiligen Jahresschwerpunkts darauf bedacht, Themen zu finden, die »aktuell relevant« sind. Diesmal sei das in besonderem Maße der Fall, das sehe man ja an der jüngst von Thomas Pikettys Buch »Das Kapital im 21. Jahrhundert« ausgelösten Ungleichheitsdebatte, an der Renaissance der »Kapital«-Studien und an der gesamtgesellschaftlich lauter werdenden Kapitalismuskritik.
Dass Schönheit, Gleichheit, Gerechtigkeit nicht ohne das nötige Kleingeld zu machen sind, wie Hacks wusste, musste Matthias Oehme erst jüngst am eigenen Leibe erfahren. Hohe Außenstände bei Banken, Zulieferbetrieben und Autoren zwangen die Eulenspiegel-Verlagsgruppe, deren Geschäfte Oehme hauptberuflich leitet, fast in die Knie. Ein Insolvenzverfahren einschließlich Neugründung sicherte inzwischen den Fortbestand des Verlags ab, dem Hacks seinen Nachlass und die Rechte an seinem Gesamtwerk übertrug.
Erst jüngst sah sich Oehmes Haus zudem mit harschen Vorwürfen des Mainzer Verlegers André Thiele konfrontiert, der das annoncierte Erscheinen einer von Roland Weber verfassten Hacks-Biografie mit der Begründung zurückzog, Oehme habe »im September dem Autor gegenüber völlig überraschend« erklärt, »dass er seine bereits erteilte Zustimmung zur Verwendung des Materials aus dem Nachlass« zurückziehe. Seit 2008, so Thiele weiter, habe es »immer wieder Spannungen zwischen dem Berliner und dem Mainzer Verlag über die Herangehensweise an das Erbe des Dichters gegeben«. Darauf angesprochen, streitet Oehme vehement ab, irgendjemandem diktieren zu wollen, wie mit Hacks umzugehen sei. Die Türen zum Nachlass stünden jedem offen. Den Autor Roland Weber und seine Verdienste in der Hacks-Forschung schätze er übrigens ausgesprochen hoch. Zum Bruch mit Thiele sei es indessen vielmehr aus finanziellen Gründen gekommen. Er habe ihn gewaltig übers Ohr gehauen.
Im Sozialismus wäre das nicht passiert. Da gab es andere Gründe, warum Bücher nicht gedruckt wurden. Wie aber wäre es um die »reiche Gleichheit« bestellt in jenem Sozialismus, der da noch kommen mag?
Hacks’ Auseinandersetzung mit ökonomischen Fragen, stets reflektiert im Bewusstsein des bereits 1957 formulierten »Widerspruchs zwischen der Utopie des Sozialismus und seiner Wirklichkeit«, schlug sich umfang-, kenntnis- und pointenreich sowohl in seinen Essays nieder (»Die Maßgaben der Kunst«, insbesondere: »Schöne Wirtschaft«), als auch in Theaterstücken und Gedichten.
In seinem Drama »Numa« (1970/71), auf antiker Basis in einer Sozialistischen Republik Italien angesiedelt, die ohne große Mühe als Spiegelbild der DDR zu erkennen ist, spricht König Numa - als die von Hacks so hoch geschätzte, zwischen widerstreitenden Interessengruppen vermittelnde Staatsmacht (vulgo: Ulbricht) - die Worte, denen der Tagungstitel entlehnt ist: »Wir sind also gezwungen, eine unermessliche Menge von Gütern zu erzeugen; der Durst nach Vorrecht kann nicht anders getötet werden als ersäuft im Überfluss. Gleicher Reichtum also, reiche Gleichheit.«
Hacks hatte große Hoffnungen in Ulbrichts Neues Ökonomisches System gesetzt, weil er es im Bestreben, Produktivitätssteigerung zugunsten vieler durch die Förderung des Leistungs- und Konkurrenzprinzips zu erlangen, als klügsten Versuch erkannte, dem realsozialistischen Mangel zu begegnen, ohne das Gleichheitsversprechen über Bord zu werfen. Als Rückfall in vorsozialistisches Wirtschaften und Abfall vom hehren Ideal wollte Hacks diesen Schritt nicht gelten lassen, denn für ihn war er notwendig, um das Ideal nicht aus den Augen zu verlieren: »Das Ideal ist eine Sache, die niemals zu machen ist und als solche für das seiende Leben ganz unentbehrlich, weil nämlich in dem Moment, wo man keine Richtung mehr für einen Weg hat, jedes Gehen nicht mehr stattfindet. Es gibt ja dann auch keinen Weg mehr, wenn der Weg kein vorgestelltes Ende hat.« Felix Bartels hat ein sehr kluges Buch über Hacks’ lebenslange Auseinandersetzung mit solchen Widersprüchen geschrieben. Es heißt »Leistung und Demokratie«, könnte aber auch »Reichtum und Gleichheit« heißen.
»Walter Ulbricht und sein Entwurf eines Sozialismus von neuem Typus bei Hacks« ist auch das Thema des Referats von Heinz Hamm auf der bevorstehenden Tagung. Neben Vorträgen von Hacks-Kennern wie Herbert Graf, Leonore Krenzlin, Kai Köhler, Steffen Gnauck oder dem Schriftsteller Dietmar Dath kommen auch Redner zu Wort, die mit dem Dichter, der sich selbst einen »sozialistischen Klassiker« nannte, auf den ersten Blick nicht viel zu tun haben. Dabei fragen die Beiträge von Bernd Stegemann (»Wie können heute ökonomische Prozesse im Theater dargestellt werden, und wie haben sich diese Darstellungsprobleme verschärft?«) und Christine Künzel (»Lassen sich ökonomische Prozesse auf der Bühne darstellen?«) nach der Möglichkeit einer ästhetischen Auseinandersetzung mit der Wirtschaft, wie sie Hacks längst praktizierte.
Diskussion am 14.11., 17 Uhr, im Pfefferwerk-Theater (Schönhauser Allee 176, Prenzlauer Berg) Tagung am 15.11., 10 bis 18 Uhr, Magnus-Haus (Am Kupfergraben 7, Mitte)
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.