Miese Stimmung zwischen FARC und Santos
Nach dubiosem Entführungsfall um einen Armeegeneral stocken Kolumbiens Friedensverhandlungen
Seit Dienstagmittag herrscht Gewissheit: Ja, man habe den Brigadegeneral Rúben Darío Alzate gefangen genommen, teilte die FARC-Einheit »Bloque Iván Ríos« mit. Damit bestätigten die Rebellen, was die Regierung von Präsident Juan Manuel Santos bereits am Sonntag verkündet und sie dazu veranlasst hatte, die seit genau zwei Jahren stattfindenden Friedensgespräche mit den Bewaffneten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) auszusetzen. Präsident Juan Manuel Santos stuft die Tat als Entführung ein und knüpft eine Fortsetzung der seit zwei Jahren andauernden Verhandlungen an die Freilassung der Militärs.
Die Rebellen wiederum versicherten, Leben und körperliche Unversehrtheit des Generals und seiner beiden Begleiter garantieren zu wollen, »solange es die staatliche Wut zulässt.« Seit Sonntag ist eine großangelegte Suchaktion durch mehrere Sonderkommandos der Militärs in vollem Gange, um den General zu befreien.
Aber auch nach der mit Spannung erwarteten Mitteilung der FARC zu dem folgenschweren Zwischenfall ist der genaue Hergang immer noch unklar. Nur soviel ist sicher: Am Sonntagnachmittag machte sich Alzate, oberster Befehlshaber in der Region, in zivil und unter Missachtung jeglicher Sicherheitsvorschriften gemeinsam mit einer für das Militär tätigen Anwältin und einem Gefreiten in einem Boot auf den Weg in das abgelegene Dorf »Las Mercedes«, rund 40 Minuten von der Provinzhauptstadt Quibdó entfernt. Warum, ist bisher nicht geklärt. Selbst Verteidigungsminister Juan Carlos Pinzón sagte, ihm sei nicht bekannt, aus welchen »persönlichen oder geheimdienstlichen Gründen« sich der 55-jährige erfahrene General schutzlos in Feindgebiet aufgemacht habe.
Was dann geschah, darin unterscheiden sich die Versionen von Augenzeugen, Journalisten, Militärs und den FARC teilweise erheblich. Dem »Bloque Iván Ríos« zu Folge hätten Guerilleros die drei Insassen des Bootes identifiziert und daraufhin gefangen genommen. Bei dem General und seinen Begleitern habe es sich eben um hochrangiges Personal des Feindes in Kampfgebiet gehandelt, weshalb eine Gefangennahme gerechtfertigt sei, teilten die FARC nicht ohne gewissen militärischen Stolz mit. Der Brigadegeneral ist der Soldat mit dem höchsten Rang, der sich je in der Gewalt der Rebellen befunden hat.
Augenzeugen hingegen hatten gegenüber der Tageszeitung »El Colombiano« von einem Treffen des Generals und seiner Begleiter mit mehreren offenbar ebenfalls in zivil gekleideten Guerilleros an der Dorfkirche berichtet. Nach einem kurzen Gespräch sei die gesamte Gruppe in ein Boot gestiegen und flussabwärts in Richtung des von der Guerilla kontrollierten Gebietes gefahren. Weder habe Alzate dabei Widerstand geleistet, noch seien Waffen eingesetzt worden. Andere Medien schrieben unter Berufung auf Geheimdienstinformationen, der General sei in einen Hinterhalt geraten.
Trotz der mysteriösen Umstände hatten sich die Regierung von Präsident Santos und das Militär bereits früh darauf festgelegt, dass es sich bei dem Vorfall um eine Entführung handelt. Eine umstrittene Formulierung - suggeriert sie doch, dass es sich bei den FARC um gewöhnliche Verbrecher handele und nicht um eine Kriegspartei, als die sie die Regierung durch die Friedensverhandlungen zwar nicht offiziell aber de facto anerkennt.
Zahlreiche Experten wiesen zudem darauf hin, dass die den Gesprächen zugrunde liegende Vereinbarung eigentlich ausschließt, dass das Kampfgeschehen in Kolumbien Einfluss auf die Verhandlungen in Kuba hat. Eine Übereinkunft, um den Fortgang der Gespräche vom oft unvorhersehbaren Hin und Her eines Krieges zu schützen.
Die FARC-Delegation in Havanna kritisierte dann auch die Entscheidung der Regierung, die Gespräche vorerst auf Eis zu legen. »Der Krieg muss ausgesetzt werden, nicht der Frieden«, sagte Rebellen-Kommandant Pablo Catatumbo. Die Guerilla hat seit Beginn der Friedensverhandlungen mehrfach einen beidseitigen Waffenstillstand angeboten - Präsident Santos dies stets abgelehnt.
»Die politischen Kosten einer Feuerpause wären für die Regierung derzeit zu hoch«, sagte der Konfliktforscher Ariel Ávila dem »nd« mit Blick auf Teile des Militärs und der Rechten um Oppositionsführer Álvaro Uribe, die die Verhandlungen kritisch sehen. Menschenrechtsaktivisten und zahlreiche Linkspolitiker bekräftigten am Dienstag ihre Forderung nach einer dauerhaften Feuerpause.
Auch wenn es sich bei der vorläufigen Aussetzung der Verhandlungen um die schwerste Krise seit Beginn der Gespräche handelt, scheinen eine baldige Freilassung des Generals und eine Fortsetzung der Gespräche nicht unwahrscheinlich. Die FARC versprachen eine »ehrliche und baldige Lösung« und die Regierung schaltete das Internationale Komitee des Roten Kreuzes ein, damit es wie üblich die Übergabe von Gefangenen organisiert.
Seitdem sich FARC und Regierung in Havanna gegenübersitzen, hatten beide Seiten bereits vielversprechende Einigungen in drei der sechs zuvor vereinbarten Verhandlungspunkte - der ländlichen Entwicklung, der politischen Teilhabe und dem Problem des Drogenhandels - getroffen. In den vergangenen Wochen war es um die schwierigen Fragen nach dem Umgang mit den Opfern des Konflikts und eine mögliche Niederlegung der Waffen durch die Guerilla gegangen.
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