Ramelows unbekannter Gegner
Die Thüringer CDU setzt nicht mehr auf Juristen – sondern auf die AfD
In der Kontroverse darum, wie ein möglicher dritter Anlauf zur Wahl eines Thüringer Ministerpräsidenten auszuzählen wäre, hat die Union überraschend angekündigt, dem Landtag einen eigenen Kandidaten vorzuschlagen und damit eine Alternative zum rot-rot-grünen Bewerber Bodo Ramelow zu präsentieren. Damit entschärft die Union den verfassungsrechtlichen Streit um die Frage, wie viele Stimmen Ramelow in einem dritten Wahlgang bräuchte, um als Regierungschef gewählt zu werden. Zwar stehe die Thüringer CDU hinter der Rechtsauffassung der Landtagsverwaltung, dass ein einzelner Bewerber auch in einem dritten Wahlgang mehr Ja- als Nein-Stimmen oder Enthaltungen brauche, um Ministerpräsident zu werden, sagte die Vorsitzende der Partei und amtierende Ministerpräsidentin, Christine Lieberknecht, am späten Dienstagabend in Erfurt. »Für das Ansehen Thüringens ist jedoch wichtig, dass es gar nicht zu einer solchen Situation kommt und ein Ministerpräsident eine klare und eindeutige Legitimation hat.« Das Amt des Ministerpräsidenten dürfe »nicht zum Fall für Gerichte werden«.
Die Rechtsauffassung der Landtagsverwaltung ist umstritten. Erst am Dienstag hatte Thüringens Justizminister Holger Poppenhäger (SPD) ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten vorgelegt, nach dem einem Einzelbewerber um das Amt des Regierungschefs theoretisch schon eine einzige Stimme gegen sonst nur Nein-Stimmen oder Enthaltungen reichen würde, um Ministerpräsident zu werden. Das Argument: Bei einem dritten Wahlgang zählten gemäß Landesverfassung nur die Ja-Stimmen. Beide Rechtsauffassungen sind die Folge von unterschiedlichen Interpretationen des Artikel 70 der Verfassung. Dort heißt es, in einem dritten Wahlgang werde derjenige zum Ministerpräsidenten gewählt, der »die meisten Stimmen« bekomme. Die Frage, was »die meisten Stimmen« bedeutet, ist deutlich einfacher zu beantworten, wenn es statt einem mindestens zwei Bewerber gibt.
Aus CDU-Kreisen hieß es am Mittwoch, die Entscheidung für einen Gegenkandidaten bedeute zweierlei. Zum einen wolle man verhindern, dass Thüringen sich bundesweit lächerlich mache und die Wahl des Regierungschefs am Ende möglicherweise vor dem Thüringer Verfassungsgericht lande. Bei allen Versuchen, die Wahl Ramelows zum ersten linken Ministerpräsidenten Deutschlands zu verhindern – etwas, das derzeit »oberste Parteiraison« sei –, dürfe man »den Bogen nicht überspannen«. Zum anderen werde man sich nun bemühen, eine möglichst geschlossene Oppositionsfront gegen Ramelow aufzubauen; also: einen Kandidaten zu präsentieren, der sowohl für die CDU als auch die AfD wählbar sei.
Letzteres schließt eine Kandidatur Lieberknechts gegen Ramelow de facto aus. Die AfD hatte immer wieder betont, sie werde Lieberknecht keinesfalls unterstützen, weil diese die AfD im Wahlkampf so heftig attackiert habe. Dem Vorsitzenden der CDU-Fraktion im Landtag, Mike Mohring, hatte die AfD dagegen immer wieder ihre Unterstützung zugesichert – gleichwohl Mohring immer wieder angekündigt hatte, sich inhaltliche hart mit der AfD auseinandersetzen zu wollen. Denkbar wäre auch, dass die CDU einen parteipolitisch neutralen Kandidaten nominiert. In ihrem Statement ließ Lieberknecht ausdrücklich offen, wen die Union gegen Ramelow antreten lassen will.
Alle juristischen Fragezeichen zu einem dritten Wahlgang sind damit indes nicht beiseite geräumt: Der Landtag in Erfurt besteht in dieser Legislatur aus 91 Abgeordneten. Was, wenn sowohl Ramelow als auch der CDU-Bewerber in einem dritten Wahlgang jeweils 45 Ja-Stimmen bekommen und sich ein Abgeordneter enthält? Ein Sprecher des Landtages sagte, dann werde der Landtagspräsident mit den entsprechenden Gremien des Parlaments »über das weitere Vorgehen beraten«.
Alle diese Überlegungen werden freilich nur dann relevant, wenn ein oder mehr Abgeordnete aus dem Lager von LINKE, SPD und Grünen Ramelow die Stimme in mindestens den ersten beiden Wahlgängen verweigern sollten. Denkbar ist das. Ramelow ist umstritten, die Wahl geheim. Und Rot-Rot-Grün hat im Landtag nur eine Stimme Mehrheit.
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