Khieu Samphans »kleiner Sieg«
Kambodscha-Tribunal gegen Pol Pots »Brüder« vertagt sich ohne Fortschritte ins nächste Jahr
Die Entscheidung zur Vertagung des Gerichtsverfahrens auf den kommenden Januar fiel angesichts des fortgesetzten Boykotts der Verhandlungen durch den angeklagten nominellen Staatschef des »Demokratischen Kampuchea«, Khieu Samphan. Bereits am 17. Oktober, als der zweite Prozess gegen Khieu Samphan (83) und Nuon Chea (88), den einstigen Stellvertreter des »Bruders Nr. 1« Pol Pot, vor den Toren Phnom Penhs beginnen sollte, hatten die Angeklagten verkündet, sie selbst säßen zwar gezwungenermaßen im Gerichtssaal, hätten ihre Verteidiger jedoch angewiesen, dem Prozess fernzubleiben.
Nuon Chea bestand darauf, dass vor einer Fortsetzung des Verfahrens zunächst über seinen Befangenheitsantrag gegen die Richter entschieden wird. Begründet hatte er diesen Antrag damit, dass vier der fünf Juristen, die ihn schon im August wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt hatten, in diesem zweiten Prozess - in dem wegen Völkermords verhandelt wird - nicht unvoreingenommen über ihn urteilen könnten. Ein eigens eingesetztes Gremium wies den Antrag jedoch inzwischen zurück, worauf sich der Angeklagte fügte und seinen Anwälten die Teilnahme am Prozess wieder »gestattete«.
Anders Khieu Samphan. Der behauptete, seine drei Anwälte hätten nicht genügend Kapazitäten, um die Berufungsschrift gegen das Urteil im ersten Prozess zu verfassen und zugleich am zweiten Prozess teilzunehmen. Er habe seine Verteidiger beauftragt, sich auf die Berufung zu konzentrieren, und verlange vom Gericht ein »faires Verfahren«.
Das Entgegenkommen der Richter, die Zahl der Verhandlungstage vorübergehend zu reduzieren, um seinen Anwälten mehr Zeit einzuräumen, vermochte den Angeklagten ebenso wenig umzustimmen wie die Drohung, ihm Pflichtverteidiger zu verordnen. Einer Beschleunigung des Prozesses hätte die Ernennung neuer Verteidiger ohnehin nicht gedient. Denn die neuen Anwälte hätten viel Zeit gebraucht, die umfangreichen Gerichtsakten durchzuarbeiten.
Die Richter des Tribunals sahen einen Ausweg darin, Khieu Samphans Wahlverteidiger - den einheimischen Kong Sam Onn und die französischen Juristen Arthur Vercken und Anta Guissé - kurzerhand selbst zu Pflichtverteidigern zu ernennen, die im Streitfall nicht den Weisungen des Angeklagten, sondern denen des Gerichts zu folgen hätten. Ultimativ verlangte der Vorsitzende Richter Nil Nonn am vergangenen Freitag das Erscheinen der Anwälte am Montag dieser Woche. Doch nichts geschah: Vercken und Guissé blieben gar in Paris. Alle Vorhaltungen des Gerichts bewirkten nichts: Der Prozess kann erst am 8. Januar fortgesetzt werden, wenn Khieu Samphans Verteidiger ihre Berufungsschrift bis zum Ende der Einspruchsfrist am 29. Dezember einreichen. Anwalt Kong Sam Onn sprach denn auch von einem »kleinen Sieg« seines Mandanten, dem eine Mitverantwortung für den Tod von rund zwei Millionen Menschen während der Pol-Pot-Herrschaft angelastet wird. Khieu Samphan aber selbst bestreitet nicht nur jede Schuld, sondern weist auch den Vorwurf der bewussten Prozessverschleppung zurück: Da er ohnehin bereits zu lebenslanger Haft verurteilt sei, könne ihm an einer Verzögerung des Verfahrens gar nicht gelegen sein.
Derweil scheint das Interesse an den endlos anmutenden Prozessen des »Rote-Khmer-Tribunals« in der internationalen wie in der kambodschanischen Öffentlichkeit längst erlahmt zu sein.
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