Im Fadenkreuz des politischen Gegners
Wieder Angriffe auf Thüringer LINKE / Ramelow betont Unabhängigkeit zur Bundespartei / Austritte im Nordosten
Berlin. Die Angriffe auf Linksparteibüros in Thüringen reißen nicht ab. Kurz nach Amtsantritt der rot-rot-grünen Regierung beschmierten in der Nacht zu Samstag Unbekannte das Parteibüro in Gera in großen roten Buchstaben mit dem Schriftzug »SED!«, wie die Polizei mitteilte. Hinweise auf die Täter gebe es bisher keine. In der selben Nacht habe ein Unbekannter einen Stein gegen die Scheibe eines Grünenbüros in Pößneck geworfen. Die Scheibe sei nicht zu Bruch gegangen, sondern nur gerissen. Nun werde geprüft, ob es sich um eine politisch motivierte Sachbeschädigung handle, hieß es.
In den vergangenen Wochen hatte es immer wieder Anschläge auf Büros oder Autos der LINKEN gegeben. So war das Wahlkreisbüro der Landtagsabgeordneten Katharina König in Saalfeld Mitte November mit Parolen wie »Drachenbrut« beschmiert worden. Königs Kollegin Kati Grund erstattete Strafanzeige wegen eines Drohbriefs, in dem ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt war. Auch von gelockerten Radmuttern, zerstochenen Reifen und Drohanrufen hatten Linkspolitiker berichtet.
Am Freitag war Bodo Ramelow im Landtag zum neuen Ministerpräsidenten gewählt worden. 25 Jahre nach dem Mauerfall ist er der erste Regierungschef der LINKEN in einem Bundesland und führt eine Koalition mit SPD und Grünen. Das Bündnis ist umstritten. Vor allem konservative Kräfte warnten immer wieder vor Rot-Rot-Grün im Freistaat. Daher hat Landtagspräsident Christian Carius (CDU) jüngst zu »Respekt und Besonnenheit« in der politischen Auseinandersetzung gemahnt.
Unterdessen wird in der LINKEN weiter über die bundespolitische Signalwirkung der Thüringer Landesregierung diskutiert. Bernd Riexinger, einer der Vorsitzenden der LINKEN, sagte dem »Tagesspiegel am Sonntag«, niemand solle »voreilig etwas ausschließen. Aber es gibt keinen Automatismus«. Eine Strahlkraft von Rot-Rot-Grün komme über den Erfolg, so Riexinger weiter, »daran müssten jetzt alle miteinander arbeiten«. Zuvor hatte bereits Linksfraktionvize Sahra Wagenknecht deutlich gemach, auf der Bundesebene sei eine Kooperation erst dann denkbar, »wenn die SPD auch hier ihren Kurs ändert«.
Die andere Vorsitzende der LINKEN, Katja Kipping, hatte die Wahl Ramelows zuvor als »Meilenstein« bezeichnet. »Rot-Rot-Grün macht alle kommenden Wahlen spannender. Die Union verliert ihr Abo auf die Macht«, erklärte sie in der »Mitteldeutschen Zeitung«. Die aufgeregte Kritik aus der Union sei für sie »nachvollziehbar. Im Bundesrat entsteht jetzt ein neues Machtzentrum. Die von Linkspartei, SPD und Grünen zusammen regierten Länder haben eine Gestaltungsmehrheit«. Kipping sprach von einer klaren Mehrheit der Parteien diesseits der Union, »um Schlimmes zu verhindern«.
Ramelow hatte indes nach eigenen Angaben erklärt, er werde seine Unabhängigkeit von der Bundespartei bewahren, wenn es um Entscheidungen in der Länderkammer gehe. Er sei nicht der verlängerte Arm der Linkspartei im Bundesrat, sagte er der »Bild am Sonntag«.
Unterdessen erklärte Gregor Gysi, die Wahl Ramelows werde die Linkspartei verändern. »Aber auch die anderen. Es ist ein Durchbruch, was das politische Klima betrifft. SPD, Grüne und die LINKE sind diesen großen Schritt gemeinsam gegangen«, so der Fraktionschef der LINKEN im Bundestag. Gegenüber der »Mitteldeutschen Zeitung« sagte er, die Linkspartei »komme in größere Verantwortung« und müsse sich »in bestimmter Hinsicht etwas disziplinieren. Die gewachsene Verantwortung wird sich auswirken. Alle müssen sich den Realitäten beugen.« In Richtung jener, die Sorgen vor zu viel Kompromissen in Regierungsbeteiligungen haben, sagte Gysi, »wenn man 100 Prozent fordert und 50 Prozent erreicht, ist das ein riesiger Erfolg. Meine LINKEN leiden immer darunter. Das muss ich ihnen noch beibringen: dass 50 Prozent ein großer Erfolg sind«.
Dass Rot-Rot-Grün auch innerhalb der LINKEN kritisch gesehen wird, wurde bereits in den vergangenen Wochen mehrfach deutlich. Jetzt hat die LINKE in Mecklenburg-Vorpommern Parteiaustritte zu verzeichnen - wegen der Zugeständnisse der Thüringer Genossen zur Bildung der neuen Landesregierung. »Sie konnten sich mit dem Begriff ›Unrechtsstaat‹ als Verkürzung für 40 Jahre DDR nicht abfinden«, erklärte die Landesvorsitzende Heidrun Bluhm am Samstag zum Auftakt des Landesparteitages in Güstrow. Wie viele Mitglieder der Partei den Rücken gekehrt haben, blieb zunächst offen.
Im Freistaat hatte sich die Linkspartei erstmals dazu bekannt, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Das führte zu heftigen innerparteilichen Kontroversen. Bluhm betonte nun, dass das Sozialismuskonzept in der DDR gründlich gescheitert sei. Im Herbst 1989 sei der Grundstein für eine demokratische Gesellschaft gelegt worden. »Das ist für alle ein Gewinn«, sagte sie. nd/Agenturen
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