Ungleichheit - nur eine Wachstumsbremse?
Studie: Kluft zwischen Arm und Reich in OECD-Staaten so groß wie seit 30 Jahren nicht mehr
Paris. Laut einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist heute die Kluft zwischen Arm und Reich in vielen OECD-Ländern so groß wie seit 30 Jahren nicht mehr. So hätte sich zum Beispiel in Deutschland hat sich der Abstand zwischen Arm und Reich seit Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts stark erhöht: So verdienten die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung damals fünf Mal so viel wie die ärmsten zehn Prozent. Heute läge das Verhältnis bereits bei 7:1.
Laut einem OECD-Arbeitspapier hatte die wachsende Einkommensungleichheit einen merklich negativen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung. In Deutschland zum Beispiel ist das inflationsbereinigte Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zwischen 1990 und 2010 um etwa 26 Prozent gewachsen. Nach Berechnungen der Autoren hätte das Wachstum bei gleichbleibender Einkommensungleichheit fast sechs Prozentpunkte höher ausfallen können. Noch stärker ist der Effekt in Neuseeland oder Mexiko: Hier kostete die wachsende Ungleichheit die Volkswirtschaften mehr als zehn Prozentpunkte ihres BIP-Wachstums.
Für diesen ökonomischen Effekt sei laut den Autoren vor allem das immer stärkere Auseinanderdriften der ärmsten 40 Prozent vom bessergestellten Rest der Bevölkerung verantwortlich. Ärmere Gruppen, so die Autoren investierten in der Regel weniger in Bildung, und das wiederum beeinflusse die soziale Mobilität und die Ausbildung von Kompetenzen im jeweiligen Land.
»Unsere Analyse zeigt, dass wir nur auf starkes und dauerhaftes Wachstum zählen können, wenn wir der hohen und weiter wachsenden Ungleichheit etwas entgegensetzen«, sagte OECD General-Sekretär Angel Gurría. »Der Kampf gegen Ungleichheit muss in das Zentrum der politischen Debatte rücken. Wachsen und gedeihen werden vor allem jene Länder, die alles daran setzen, dass ihre Bürger von klein auf gleiche Chancen haben.«
Das Wirtschaftswachstum wird laut der Studie hauptsächlich dadurch gebremst, dass Kinder aus »sozial schwächeren Familien« weniger Bildungschancen haben. Hier zeigt sich dann auch die rein ökonomische Fixierung der Studie: Mit »sozial schwach « werden Familen bezeichnet, die vor allem erst einmal einkommenschwach sind. Und so weist die Studie schlußendlich darauf hin, dass eine Umverteilung durch Steuern und Transfers nicht schlecht sein müsse, wenn sie denn zielgerichtet erfolgen würden. Diese Leistungen müssten laut OECD vor allem einen verbesserten Zugang zu Bildung, Weiterbildung und Gesundheitsdienstleistungen ermöglichen, vor allem für junge Familien mit Kindern. Zielgerichtete Investitionen also, die zu einem höherem Wirtschaftswachstum führen sollen; die wachsende Ungleichheit wird hierbei nur als Wachstumsbremse betrachtet, nicht als eigenständiges Problem. Bezeichnenderweise findet sich den Vorstellungen der Studie keine Aussage zu kranken, älteren oder anderweitig abgehängten Menschen. Solange Investitionen und Umverteilungen nur dem sozialen Frieden, aber nicht dem Wirtschaftswachstum dienen, sind sie wohl nicht aufs richtige Ziel gerichtet. stf
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