Harry Nick ist tot

Marxistischer Ökonom, streitlustiger Linker, nd-Kolumnist: Der Wirtschaftswissenschaftler wurde 82 Jahre alt

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 3 Min.

»Dreher, Werkzeugmacher, Hilfsarbeiter hießen früher einfach Arbeiter. Deutsche Sprachregler haben sie in 'Arbeitnehmer' umbenannt«, schrieb Harry Nick einmal. »In deutsch-englischen Wörterbüchern findet man unter 'Arbeitnehmer' das Wort 'worker'; von einem 'taker' ist nichts zu finden.«

Wer nämlich »gibt« die Arbeit in Wahrheit – und wer nimmt sie? Der Kapitalismus, die in ihm vorherrschende Verschleierung der Verhältnisse durch Sprache, durch Ent-Nennung, das war ein Thema des marxistischen Ökonoms. Eines neben vielen anderen, Nick war Experte auf Gebieten wie der Grundfondsökonomie und der wirtschaftlichen Rechnungsführung. Und er war einer, der sich in politische Diskussionen einmischte, der eine auch an schwierigen Fragen der Ökonomie interessierte Diskussion über eine sozialistische Zukunft niemals aufgegeben hat. Am 7. Dezember ist der Wissenschaftler und Autor, der lange Jahre nd-Kolumnist war, nach schwerer Krankheit in Berlin verstorben. Dies teilte seine Familie dem nd mit.

Harry Nick wurde 82 Jahre alt. Geboren als Sohn eines Forstarbeiters im Borowo bei Łódź kam er 1945 nach Sylda in der Nähe von Hettstedt, wo er auch das Abitur ablegte. Anfang der 1950er Jahre studierte Nick Industrieökonomik in Berlin, wurde Assistent, promovierte mit einer Arbeit über »Die Akkumulation von Grundfonds in den LPG Typ III (Stallbauten)« und arbeitete ab 1964 als Dozent am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED. Zum Professor berufen leitete er den Forschungsbereich »Ökonomische und soziale Probleme des wissenschaftlich-technischen Fortschritts« am Institut für Politische Ökonomie – und das bis 1990.

In der DDR vielfach geehrt erlebte Nick die Nachwendezeit als »Strafrentner«. Politisch und publizistisch blieb er aktiv, unter anderem in der Arbeitsgruppe Wirtschaftspolitik beim PDS-Vorstand und im Marxistischen Forum der Linkspartei. Von 1997 bis 2012 war Nick als Autor für unsere Zeitung tätig. In seiner letzten Wirtschaftskolumne schrieb er, die Vorgänge in Ostdeutschland nach 1990 seien »nicht zu verstehen, wenn man nicht begreift, dass die Maxime der Marktwirtschaft dieselbe ist wie die eines gewöhnlichen Räubers - so viel zu raffen wie nur möglich«.

Doch auch Nicks Rückblick auf die DDR blieb nicht unkritisch. Er hatte die zaghaften ökonomischen Reformen der Ära Ulbricht ebenso erlebt wie deren abruptes Ende. »Nein, die Wahrheit hatte es nicht leicht in der DDR, auch nicht für Wirtschaftswissenschaftler«, sagte Nick einmal. Was umso schlimmer wurde, je deutlicher sich die wirtschaftliche Krise des Realsozialismus abzeichnete – ohne dass dies aber zu politischen Konsequenzen führte. Die DDR sei »am Ende gewesen«, bilanzierte Nick im Herbst 2012 und verwies auf technologischen Rückstand sowie den Graben zwischen Angebot und Nachfrage. Der sozialistische Versuch habe seine »historische Bewährungsprobe nicht bestanden«, so Nick, bei einem neuen Anlauf müsse »der demokratische Prozess auch bei der Überwindung der Herrschaft der Bourgeoisie« weitergehen.

Harry Nick hat sich gern in Debatten eingemischt. Die gesellschaftliche Linke und die politische Ökonomie haben einen klugen Kopf und einen begeisterten Wissenschaftler verloren. Harry Nick wird fehlen.

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