Eine femme fatale?
Vor fünfzig Jahren starb Alma Mahler-Werfel
Die Urteile ihrer Zeitgenossen sind extrem: »Sie war eine große Dame und gleichzeitig eine Kloake«, heißt es bei Marietta Torberg. Und Claire Goll macht aus ihrem Hass keinen Hehl: »Wer Alma Mahler zur Frau hat, muß sterben. Franz Werfel ließ sich dabei etwas Zeit; Alma hatte beschlossen, ihn auf kleiner Flamme zu schmoren.«
Trotzdem waren die berühmten Männer ihrer Zeit alle begierig, sie, die einst als »schönstes Mädchen« Wiens galt, zu heiraten: Gustav Mahler, Walter Gropius und Franz Werfel waren ihre Ehemänner. Raumgreifende Persönlichkeiten zweifellos, gegen die sich zu behaupten ein starker Charakter gehörte. Den hatte sie zweifellos, zusammen mit einer ungeheuren Begeisterungsfähigkeit für alles, was mit Kunst zu tun hat. Es stimmt also wohl nicht, dass sie nur berühmte Namen sammelte, nein sie meinte es ernst mit ihrer Mission als Gefährtin bedeutender Männer.
Aber die Ehe empfand sie dabei immer als ein Gefängnis, vielleicht benahm sie sich darum auch immer so wie ein auf Ausbruch sinnender Gefangener. Ja, ihr starker Unabhängigkeitsdrang machte sie in den Augen ihrer Umwelt zu einem Skandal - dasselbe geschah auch Lou Andreas-Salomé oder ihrer Erzfeindin Claire Goll - aber was sagt die Tatsache, dass sie sich über bürgerliche Normen wie selbstverständlich hinwegsetzte, über sie?
Als der von ihr besessene Oskar Kokoschka heimlich das Aufgebot bestellt hatte (da war sie gerade wieder einmal Witwe geworden), reiste sie kurzentschlossen ab. Kokoschkas lebenslanger Leidenschaft tat das keinen Abbruch, denn er schrieb noch nach ihrem Tod: »Wie schön sie war, wie verführerisch hinter ihrem Traumschleier! Ich war verzaubert von ihr!«
Warum fühlten sich so bedeutende Künstler so zu ihr hingezogen? Vermutlich lag es an ihrer Fähigkeit zur Hingabe an das Werk dieser Männer. Wer einen Künstler für sich gewinnen will, sollte zuerst einmal seine Werke lieben! Das tat sie und da ihre Bewunderung viele Kunstwerke einschloss, so auch viele Künstler.
Ihre berüchtigte Dominanz hat gewiss etwas mit ihrer ersten Ehe zu tun. Als sie 1902 Gustav Mahler heiratete, war sie halb so alt wie er. Der Dirigent Bruno Walter notierte über das ungleiche Paar: »Er ist 41 Jahre und sie 22, sie eine gefeierte Schönheit, gewöhnt an ein glänzendes gesellschaftliches Leben, er so weltenfern und einsamkeitsliebend ...« In dieser Ehe diktiert er die Regeln, wann gesprochen werden darf und wann geschwiegen werden muss. Sie soll seinen Alltag regeln, aber so hat sie sich das Leben an der Seite eines Genies nicht vorgestellt! - Der Erotik, so bemerkt sie, bekommt die Ehe nicht - darum muss man sie außerhalb suchen. Walter Gropius steht schon bereit. Und nach Gustav Mahlers Tod schreibt sie: »Das Wandern in Seelen war mir eine Lust geworden.« Franz Werfel, der Walter Gropius als Ehemann beerben wird, konstatiert, sie sei eine »der ganz eigenen Zauberfrauen, die es gibt.«
Warum aber ist die angeblich so schreckliche, so hysterisch wie narzisstisch veranlagte Alma Mahler-Werfel, fünfzig Jahre nach ihrem Tod immer noch in unserem Gedächtnis? Gerade erschien (nach Oliver Hilmes überaus polemischer Biographie »Witwe im Wahn« aus dem Jahr 2004) wiederum eine Biographie, diesmal von der Gender-Forscherin Susanne Rode-Breymann, die die Dominanz des »männlichen Blicks« auf Alma Mahler-Werfel überwinden will.
Liest man ihre Autobiographie »Mein Leben«, dann tritt einem eine genau beobachtende und urteilsfähige Frau entgegen, die mehr ist als eine bloße Muse - ein ihre Zeit mitprägender Charakter, der eigene Kreise bildet, selbst Themen setzt. Ein Mittelpunktmensch zweifellos, für viele eine Zumutung.
Liest man ihre Autobiographie, dann überträgt sich immer noch einiges von dem Zauber, den sie verströmte. Denn die Kunst, andere Menschen so zu instrumentalisieren, wie sie es zweifellos tat, ist aufwendig, sie erfordert jene besondere Aufmerksamkeit und Zuwendung, die die wahren Repräsentanten auszeichnet.
Eine der verbreitetsten Unterstellungen ist, sie sei im Grunde völlig kaltherzig gewesen. Wie sie aber selbst das Drama ihrer Tochter Manon schildert, das spricht eine ganz andere Sprache. Alma Mahler-Werfel hatte sich 1922 in Venedig, San Toma 2542, ein Haus mit Garten gekauft, das sie in den nächsten Jahren renovieren ließ, auch um Franz Werfel einen Platz zum Arbeiten zu schaffen. Als man, nach fortwährenden Komplikationen, dort endlich die Sommer verbringen konnte, schien es das vollkommene Glück zu sein. Im Frühjahr 1934 ist sie zusammen mit Franz Werfel und ihrer achtzehnjährigen Tochter Manon wieder in Venedig. Manon ist auf dem besten Weg, ihr in der Rolle des Lieblings der Wiener Gesellschaft zu folgen. Das Ehepaar Werfel reist weiter nach Mailand, sie hatten zusammen die deutsche Fassung von Verdis Oper »Die Macht des Schicksals« geschrieben. Manon, die kränkelt, bleibt allein in Venedig zurück. Bei Almas Rückkehr haben sich Kopfschmerzen und Übelkeit verstärkt. Nach weiteren Tagen setzen Lähmungserscheinungen am ganzen Körper ein, ihre Tochter hat Kinderlähmung!
Mit dem früheren Krankenwagen des Kaisers Franz Joseph, den sich Alma von der österreichischen Regierung borgt, wird Manon nach Wien gebracht, wo die ganze Wiener Gesellschaft (statt nach Berlin zu schauen, wo Hitler bereits darüber nachdenkt, wie er Österreich »heim ins Reich holt«) an ihrem Schicksal teilhat. Ein Jahr später stirbt sie, ihre letzten Worte zu ihrer Mutter waren: »Mami, du kommst darüber hinweg, wie du über alles hinwegkommst.« Es klingt auf unheimliche Weise abgeklärt. Aber Alma kommt lebenslang nicht darüber hinweg, ihr Haus in Venedig verkauft sie umgehend, sie erträgt die Erinnerung nicht.
Man sollte die Autobiographie Alma Mahler-Werfels wieder lesen, deren erster Satz bereits für sie einnimmt: »Mein Leben müsste ein Unvoreingenommener trostlos nennen, wären vor und hinter den Schlagschatten nicht so unzählige, brennende Glücksmomente gewesen.« Ob man auch die neue Biographie von Susanne Rode-Breymann lesen mag, wird man danach entscheiden müssen, ob einem der angestrengt-feministische Blick auf diese jederzeit ganz selbstverständlich selbstbewusste Frau zusagt.
Ich jedenfalls kann mir bei Sätzen wie diesem, um mit Gottfried Benn zu sprechen, nur wenig denken: »Sprechtheaterbesuche führten sie nicht wie die Lektüre vor allem von Lyrik nahe an die eigene Kreativität heran, sondern sie waren eine Form des gesellschaftlichen Lebens.« Dagegen, wie wohltuend die jederzeit poetisch vibrierende Direktheit Alma Mahler-Werfels! 1943 im amerikanischen Exil, wo sie mit dem todkranken Franz Werfel lebt, notiert sie: »Wir hatten eine kleine süße Siamkatze. Sie ist gestorben, und dieser kleine Katzentod hat wieder alles in mir aufgerissen an Leid und Wunden. Ich sah überall meine sterbende Manon.«
Susanne Rode-Breymann, Alma Mahler-Werfel, C.H. Beck Verlag, 335 S., geb., 22,95 €. Alma Mahler-Werfels Autobiographie »Mein Leben« ist lieferbar aus dem Fischer Taschenbuch Verlag.
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