Im Zentrum der Verantwortung
LAGeSo-Chef war an Entscheidungen über Auftragsvergabe an Heimbetreiber beteiligt
Unbequeme Fragen gab es nicht, als Franz Allert am Freitag das neue Flüchtlingsheim in der Charlottenburger Waldschulallee eröffnete. Es ist still geworden um den Chef des Landesamts für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) - das beste, was jemandem passieren kann, der unter dem Verdacht der Vetternwirtschaft steht. Allert hat die Vorwürfe immer von sich gewiesen - dass seine bisherige Argumentation hinkt, zeigen nun Recherchen des »neuen deutschland«.
Zur Debatte steht die Vergabepraxis der Behörde bei Flüchtlingsunterkünften und die persönlichen Beziehungen des Amtsleiters zu privaten Heimbetreibern. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, die Innenrevision sichtet Akten und das Parlament sucht Antworten. Allerts Taktik - flankiert von Sozialminister Mario Czaja (CDU) - setzte bisher auf Ahnungslosigkeit. Vergabeverfahren, Vertragsverhandlungen, Festsetzung von Tagessätzen: »Mit diesem operativen Verfahren bin ich nicht betraut«, rechtfertigte sich Allert in der Sondersitzung des Sozialausschusses zum Thema. Und gab die Verantwortung direkt weiter: »Das sind Aufgaben meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.« Einen Vertrag mit einem Heimbetreiber habe er nur ein einziges Mal und nur in Vertretung der zuständigen Abteilungsleiterin unterschrieben.
Der Amtsleiter erweckte so den Anschein, in wichtige Vorgänge in seiner Behörde gar nicht involviert zu sein. Jedoch bestätigt das LAGeSo, wie auch Allert selbst im Sozialausschuss, dass es wöchentliche »Jours fixes« zu unterschiedlichen Themen gibt. Dass die nicht nur zur reinen Information dienen, sondern auch handfeste Entscheidungen hervorbringen, beweisen zwei Dokumente von 2013, die dem »nd« vorliegen: Darin ist vermerkt, dass im »Leitungs-Jour fixe« die Vergabe an einen privaten Betreiber beschlossen wurde. Mit dabei: die Abteilungsleitung Soziales, die Referatsleitung, die beiden Gruppenleiter der Berliner Unterbringungsleitstelle (BUL) - und: LAGeSo-Präsident Franz Allert. »Sofern konkrete Entscheidungen zu einzelnen Themen zu treffen sind, erfolgt dies auf Vorschlag des zuständigen Fachbereichs«, betont das LAGeSo auf Anfrage.
»Natürlich hätte Allert Einfluss nehmen können - seine Darstellung seiner Rolle ist falsch«, sagt Fabio Reinhardt, flüchtlingspolitischer Sprecher der Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus. Es sei schließlich normal und richtig, dass ein Amtsleiter informiert sei, die richtigen Weichen stelle und auch eingreife. »Allerts Versuch einer Verteidigung nach vorn ist nicht haltbar«, sagt Reinhardt. Allert habe seine Rolle stets heruntergespielt. »Das ist zwar kein Zeichen für seine Schuld, aber für mangelnden Aufklärungswillen.«
Der fehlt den Piraten auch von Sozialsenator Mario Czaja (CDU). Der hatte zwar eine externe Prüfung zugesagt, passiert ist bisher aber nichts. Außerdem wurde in dieser Woche entschieden, dass der Bericht der eingesetzten Innenrevision geheim bleiben soll. »Eine Frechheit«, findet Reinhardt, vor allem, da er keine sachliche Begründung für den Ausschluss der Öffentlichkeit erkennen kann. Allerdings hatte eine Pressemitteilung zu den vorläufigen Ergebnissen der Untersuchung sowieso wenig Hoffnung gemacht, dass sie Licht in die Dinge bringen könnte - wegen unzureichender Aktenlage. »Wenn sich aus den Akten heraus Ausmaß und Qualität eines Fehlverhaltens nicht feststellen lassen, muss man über einen Untersuchungsausschuss nachdenken.« Das wäre dann aber frühestens Ende Februar soweit, wenn die Innenrevision ihren Abschlussbericht vorlegt.
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