Gerüstet wird grenzenlos

Die Spirale dreht sich wieder: Modern, moderner, mörderisch

  • René Heilig
  • Lesedauer: 6 Min.
Im Jahr 2013 haben die 100 wichtigsten Waffenschmieden weltweit Produkte im Wert von insgesamt 402 Milliarden Dollar (324 Milliarden Euro) verkauft. Die größte Steigerung erzielte man in Russland.

Die Tests waren erfolgreich, im kommenden Jahr werde man die neue Interkontinentalrakete RS-26 »Rubesch« in die Bewaffnung einführen, teilte jüngst der Chef der Operativen Hauptverwaltung im russischen Generalstab, Generaloberst Wladimir Sarudnizki, mit. Die von mobilen Trägern einsetzbare Atomrakete soll alles bisherige in den Schatten stellen. Ihre autonom hochpräzise steuerbaren Sprengköpfe könnten weder von den bestehenden noch von demnächst einsetzbaren Abfangraketen gestoppt werden.

»Rubesch« bedeutet im Russischen so viel wie Grenze, »sa rubeschom« wird als »Ausland« übersetzt. Und dahin geht auch die Botschaft. Sie lautet - wie in Zeiten des Kalten Krieges: Was ihr könnt, können wir auch. Der Fingerzeig richtet sich insbesondere an die Adresse der USA. Dort, so warnt Pawel Sosinow, Generalkonstrukteur des russischen Super-Militär-Konzerns Almaz-Antey, würden neue Angriffswaffen entwickelt, mit denen die vertraglich genehmigten Frühwarnsysteme Moskaus ausgeschaltet werden können. Das ist nicht zu leugnen.

Was nützt es also, wenn laut START-Vertrag beide Länder ihre aufgestellten Träger auf 700 begrenzen und »nur« 800 einlagern können? Dieser neue Hochtechnologie-Wettlauf hat nur wenig mit dem zu tun, was sich seit diesem Jahr auf der Krim oder in den östlichen Regionen der Ukraine abspielt. Doch die daraus folgenden Aufmarschgebärden von NATO und russischer Föderation verstärken die Tendenz zu neuer Hochrüstung.

»Die bemerkenswerten Zuwächse bei Waffenverkäufen russischer Firmen sowohl 2012 als auch 2013 liegen zu einem großen Teil an ununterbrochenen Militärinvestitionen der russischen Regierung in den 2000er-Jahren«, sagte SIPRI-Experte Siemon Wezemann. In den Jahren davor war die einstige Sowjetarmee verkommen. Die neuen Investitionen sind also ausdrücklich dazu gedacht, »mit den Fähigkeiten und Technologien von großen Waffenherstellern in den USA und Westeuropa gleichzuziehen«, liest man bei SIPRI.

Insgesamt sind demnach die Umsätze der russischen Unternehmen in der Top-100-Liste um 20 Prozent gestiegen. Die Werftindustrie baut wieder atomar und konventionell getriebene U-Boote in Serie, Suchoj bringt wieder mehr Jets an den Himmel, die Hersteller von Panzerfahrzeugen entwickeln Traditionelles weiter. Immer mehr Robotertechnik wird auf Messen vorgestellt.

All das »geht vor allem auf die steigende Regierungsausgaben zurück«, sagte Aude Fleurant von SIPRI. Man produziert also die Masse für den Eigenbedarf, nicht den Export. Bei der gezielten Modernisierung und Aufrüstung der Streitkräfte setzt man vor allem auf die heimische Rüstungsindustrie. Entsprechend groß ist der Ärger über die Nichtauslieferung von zwei in Frankreich bestellten »Mistral«-Hubschrauberträgern. Präsident Wladimir Putin polterte jüngst, man könne sich nur auf sich selbst verlassen und werde das auch künftig tun.

Die einheimische Industrie freut sich über gefüllte Auftragsbücher. Das russische Unternehmen »Tactical Missiles Corporation« beispielsweise setzte 2013 mehr als doppelt soviel um wie noch 2012. Der Konzern stieg in der Liste von Rang 74 auf Platz 46.

Neue Pläne und Bestellungen gibt es genug, die Ukraine-Krise, aber auch der Kampf um die Vorherrschaft rings um den Nordpol befeuern Wunschträume. Ob der Trend zu qualitativer Rüstungserneuerung anhält, hängt vor allem von zwei Faktoren ab. Erstens vom Ölpreis. Der geht international gerade in den Keller, damit auch die Öl- und Gasexporterlöse Russlands. Zweitens ist noch nicht abzusehen, wie die vom Westen angestrengte Sanktionspolitik greift.

Vergleicht man jedoch die SIPRI-Liste mit denen vergangener Jahre, so ist klar: Grundlegendes hat sich nicht getan. Zwei Drittel der gelisteten Firmen haben ihre Zentralen in den USA oder den anderen westlichen NATO-Mitgliedsländern. Laut SIPRI werden 84,2 Prozent der weltweiten Rüstungsverträge dort abgeschlossen. Ganz oben stehen die US-Konzerne Lockheed Martin und Boeing mit knapp 35,5 beziehungsweise 30,7 Milliarden Dollar. Auf dem dritten Platz folgte das britische Unternehmen BAE Systems mit gut 26,8 Milliarden Dollar. Erst auf Platz 12 erscheint der russische Konzern Almaz-Antey mit einem Wert von 8,03 Milliarden Dollar.

Für die 38 US-Firmen, die unter den 100 größten Rüstungsunternehmen rangieren, verzeichnen die Analysen aus Stockholm für 2013 einen Umsatzrückgang von 4,5 Prozent. Das treffe, so Aude Fleurant, zumeist Hersteller von größeren Waffensystemen wie Kriegsschiffen, aber auch Militärfahrzeuge, Raketensysteme oder Flugzeuge werden weniger geordert. Was unter anderem an deren exorbitant gestiegenen Kosten liegt. Außerdem sind Firmen betroffen, die Dienstleistungen wie Logistik, Instandhaltung, Trainings oder technische Hilfe anbieten. Die Hauptgründe für den Umsatzrückgang lassen sich mit dem Rückzug aus Irak und Afghanistan. aber auch durch die US-Haushaltskürzungen erklären. Firmen aus Großbritannien, Frankreich und Italien haben einen guten Stand im Rüstungsranking. Auch Schweden ist auf Platz 31 mit SAAB vertreten.

Ein »global player« taucht auf der Liste auch diesmal nicht auf: China. Mit Sicherheit würden einige von Peking kontrollierte Firmen einen beachteten Platz in der Liste der größten 100 Rüstungskonzerne einnehmen. Doch erstens hält sich China weiter bedeckt. Verlässliche und vergleichbare Daten gibt es nicht einmal für die SIPRI-Experten. Zum anderen ist die chinesische Wirtschaft nicht so strikt in einen zivilen und einen militärischen Teil zu gliedern.

Mitsubishi aus Japan hat sich von Platz 32 auf 27 vorgeschoben, Israels Rüstungssparte hielt der internationalen Konkurrenz stand. Platz 38 für deren Aerospace-Industries. Zunehmend mehr und besser kommen sogenannte Schwellenländer und Staaten aus der Dritten Welt ins Geschäft mit dem Mordwerkzeug. Beispielsweise Indien. Auf Platz 42 steht Hindustan Aeronautics. Es ist das wichtigste Luft- und Raumfahrtunternehmen des Verteidigungsministeriums. Auch Firmen aus Brasilien, Singapur oder Südkorea mischen mit.

Exemplarisch für die planmäßige Modernisierung der Rüstungsbranche mag die Türkei stehen. Präsident Erdogan gefällt sich darin, Neuentwicklungen aufzuzählen. Es ist erklärtes Ziel der türkischen Regierung, eine eigene Rüstungsindustrie auf- und auszubauen. Verteidigungsminister Ismet Yilmaz verkündete im Sommer stolz: »Vor zehn Jahren noch waren wir zu 80 Prozent vom Ausland abhängig. Heute ist dieser Anteil unter die 50-Prozent-Marke gesunken.« Demnächst wird man als Exporteur Gewinne machen. Libyen, Saudi-Arabien oder Pakistan haben sich den türkischen Kampfhubschrauber schon angesehen.

Bei den vier deutschen Unternehmen, die in dem Ranking auftauchen, ist aber nur bei einem ein Rückgang der Verkäufe zu verzeichnen. Rheinmetall setzte 2013 durch Waffenverkäufe knapp 2,9 Milliarden Dollar um. Im Jahr zuvor waren es noch drei Milliarden Dollar. Dennoch nimmt das Unternehmen mit Rang 32 den Spitzenplatz unter den deutschen Waffenherstellern ein. ThyssenKrupp belegt mit knapp 1,77 Milliarden US-Dollar Platz 57, Diehl mit rund 1,23 Milliarden US-Dollar Rang 61 und Krauss-Maffei Wegmann Platz 72 mit rund 1,01 Milliarden US-Dollar.

U-Boote, Fregatten, Jets und Hubschrauber - viele aus dem deutsch-dominierten multinationalen Rüstungskonzernen Airbus -, Panzer, Handfeuerwaffen ... Deutschland brüstet sich, Qualitätsprodukte herzustellen. Die Bundeswehr fungiert als Testlabor und Vorführladen. Im Moment allerdings mit geringerem Erfolg, denn zwischen den Werbesprüchen und der gelieferten Qualität klaffen oft tiefe Schluchten.

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