Australiens Behörden nach Sydney-Geiselnahme in der Kritik

Kidnapper war auf freiem Fuß, obwohl er wegen diverser Gewaltstraftaten angeklagt und als Extremist bekannt war / Verschärfung der Gesetze angekündigt

  • Lesedauer: 3 Min.
Die Geiselnahme in Sydney schockiert die Australier. In die Trauer mischt sich auch Empörung. Wie konnte der vorbestrafte Täter auf freiem Fuß sein? Das fragt sich nicht nur der Regierungschef.

Sydney. Nach dem blutigen Ende des Geiseldramas von Sydney hat Regierungschef Tony Abbott den früheren Umgang der Behörden mit einem angeklagten und von Extremismus besessenen Täter kritisiert. »Wie kann jemand mit so einer Geschichte ... auf freiem Fuß sein?« fragte Abbott am Dienstag in Sydney. Der Premier gedachte wie viele andere Australier an einer spontan entstandenen Gedenkstätte der beiden getöteten Geiseln und legte Blumen nieder.

Der Iraner Man Haron Monis (50) hatte am Montag ein Café in Sydney überfallen und 17 Geiseln teils 16 Stunden lang in seiner Gewalt. Er terrorisierte die Geiseln mit Todesdrohungen und stellte seine Gewaltaktion als Angriff der Terrormiliz Islamischer Staat dar. Die Polizei stürmte das Café in der Nacht, nachdem im Cafè Schüsse gefallen waren. Auch Monis kam dabei ums Leben.

Der Geiselnehmer, der in der Öffentlichkeit von sich behauptet hatte, ein Scheich und Wunderheiler zu sein, war unter anderem wegen Beihilfe zum Mord an seiner Ex-Frau sowie sexuellen Übergriffen in mehr als 40 Fällen angeklagt. Extremistische Tendenzen des Mannes waren lange bekannt.

Abbott bezeichnete den Täter als psychisch labil und stellte die Frage, warum Monis nicht auf der Terror-Beobachtungsliste des Landes gestanden habe. »Wir müssen uns fragen: Hätte dies verhindert werden können?«

Die Teheraner Polizei hat nach eigenen Angaben Australien mehrmals vor dem ausgewanderten Geiselnehmer gewarnt. »Dieser Mann war ein Betrüger und hat sich bei seinem Asylantrag in Australien als politischer Dissident ausgegeben«, sagte Irans Polizeichef Ismaeil Ahmadi Moghaddam am Dienstag laut Nachrichtenagentur ISNA. All dies sei der australischen Polizei auch mitgeteilt worden. Der Mann habe in Teheran eine Reiseagentur und mehrere Kunden betrogen, so der Polizeichef laut der Nachrichtenagentur ISNA. Um nicht ins Gefängnis zu kommen, sei er 1996 zunächst nach Malaysia geflohen und von dort aus nach Australien. Das iranische Außenministerium hatte am Montag die Geiselnahme in Sydney scharf verurteilt und den Geiselnehmer als geistesgestört bezeichnet.

Als eine Reaktion auf die Geiselnahme sollen die Bestimmungen verschärft werden, unter denen Angeklagte gegen Kaution auf freiem Fuß bleiben, wie der Ministerpräsident des Bundesstaates New South Wales, Mike Baird, ankündigte. »Wir sind alle entsetzt, dass dieser Typ frei herumlief«, sagte er.

Die Polizei hatte am Montag stundenlang mit dem Geiselnehmer verhandelt. Er verlangte unter anderem eine Flagge der IS-Terrormiliz und ein Gespräch mit Tony Abbott. Die Stürmung des Cafés sei nötig geworden, um Leben zu retten, sagte Polizeichef Andrew Scipione. Ob die Opfer durch Kugeln des Täters oder der Polizei umkamen, müsse die forensische Untersuchung zeigen.

Unter den Opfern war der 34-jährigen Manager des Cafés. Er soll kurz vor der Erstürmung des Cafés versucht haben, Monis die Waffe zu entreißen und dabei selbst tödlich getroffen worden sein. »Wir sind so stolz auf unseren wunderbaren Jungen«, teilten seine Eltern in einer Stellungnahme mit. Das zweite Opfer war eine 38 Jahre alte Anwältin und Mutter von drei Kindern im Alter unter acht Jahren. Sie soll sich schützend vor eine schwangere Freundin geworfen haben. Der Anwaltsverband pries sie als eine der Besten aus ihren Reihen, und als »hingebungsvolle Mutter«. Die in den Medien kursierende Darstellung der Todesumstände der Geiseln wurde von der Polizei zunächst nicht bestätigt. dpa/nd

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!