Ein Papier gegen nahöstlichen Stillstand
Palästinenser legen UN-Sicherheitsrat Resolutionsentwurf für ihre Eigenstaatlichkeit vor
Wie groß sind die Aussichten - noch - für einen souveränen Staat Palästina? Die erfolglosen Gespräche der zurückliegenden Jahre, sogar Jahrzehnte seit dem ersten Oslo-Abkommen von 1993, haben die Erwartungen zuletzt stark sinken lassen. Die unverändert hohe Spannung in der Region, immer neue Terrorakte und Kriege legen jedoch beinahe täglich Zeugnis davon ab, dass der Nahe Osten keinen Frieden finden kann, ohne dass sein Kernkonflikt gelöst wird.
Die Gründe, warum die Chancen dafür trotz zahlreicher diplomatischer Vorstöße nicht besser geworden sind, sind mannigfaltig und miteinander verbunden. Da ist vor allem der fundamentalistisch-nationalistische Kurs der israelischen Regierungen unter Benjamin Netanjahu von 1996-99 und seit 2009, der eine palästinensische Eigenstaatlichkeit zu verhindern trachtet, ohne dies direkt zu formulieren. Dies auszusprechen überlässt er meist seinen Koalitionspartnern. Begünstigt wird diese Politik, wenn nicht überhaupt erst ermöglicht, durch gute äußere Bedingungen: eine sehr weitgehende Rückendeckung für Israel durch die westlichen Staaten, vor allem die USA; dazu kommt die weltpolitische Schwäche Moskaus als einstiger Hauptunterstützer der Palästinenser.
Kaum weniger stark fällt die »arabische« Komponente ins Gewicht. Die politische Unterstützung von arabischen Staaten für die Palästinenser kam zuletzt über akklamative Bekenntnisse kaum hinaus. Vor allem aber fällt die ausgeprägte strukturelle Schwäche der palästinensischen Bewegung selbst negativ ins Gewicht. Der 2004 gestorbene Yasser Arafat hat als Palästinenserführer keinen auch nur annähernd so charismatischen Nachfolger gefunden. Auch deshalb ist die Bewegung politisch tief gespalten in Fatah im Westjordanland und Hamas im Gaza-Streifen.
Um so bemerkenswerter ist die aktuelle politische Initiative von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Er legte am Mittwoch dem UN-Sicherheitsrat eine Resolution vorlegen, die ein Ende der israelischen Besatzung innerhalb von zwei Jahren verlangt. Formell eingebracht wurde sie vom Ratsmitglied Jordanien. Der Rat konnte gestern darüber sofort abstimmen, dies aber auch auf später verschieben. In jedem Fall löst das Papier den diplomatischen Stillstand auf und zwingt, Farbe zu bekennen.
Die eingesetzten diplomatischen Aktivitäten sind ein Beleg dafür. Netanjahus Reaktion ähnelte einem Wutausbruch. Einen Rückzug der israelischen Armee aus Ost-Jerusalem und dem Westjordanland binnen zwei Jahren wies er kategorisch zurück. Dies würde »islamische Extremisten in die Vororte Tel Avivs und ins Herz Jerusalems« bringen.
So leicht können es sich die westlichen Staaten, die im wesentlichen auf USA-Linie sind, nicht machen. Bisher versteckte sich vor allem die EU hinter dem Formelkompromiss, man sei dafür, dass Israel und Palästinenservertreter die Fragen der Staatlichkeit bilateral regeln sollen, wohl wissend, dass es so nicht funktioniert. Über die heiklen Fragen wie den Status Jerusalems, den Abzug aus dem Westjordanland oder den Rückbau völkerrechtlich illegaler Siedlungen im besetzten Gebiet lehnt Netanjahu Verhandlungen ab. Auch möchte sich Israel die Partner auf der Gegenseite aussuchen, die Hamas von jeglicher Mitsprache ausschließen. Die USA und damit auch Deutschland werden diese Haltung wohl weiter stützen. Andere EU-Staaten sind nicht so festgelegt. Besonders Frankreich möchte offenbar zu einer, zuletzt bis in die 90er (Chirac)-Jahre, praktizierten Eigenständigkeit in der Nahostpolitik zurückkehren. Nicht zufällig ist es deshalb ein französischer Entwurf, den Jordanien gestern für Abbas einbrachte.
Frankreich hatte selbst eine Resolution vorgestellt, die eine Zweijahresfrist für die Aushandlung eines umfassenden Friedensabkommens vorsieht. Der palästinensische Außenminister Rijad al-Malki hatte diese am Dienstag in Paris mit dem französischen Außenminister Laurent Fabius diskutiert. Er betonte danach, dass Frankreich in seinem Text die strittige Charakterisierung Israels als »jüdischer Staat« gestrichen habe. Ungeachtet aller noch denkbaren Änderungen am Resolutionsentwurf hat US-Außenminister John Kerry aber ein Veto angekündigt, womit der Antrag abgelehnt wäre.
Eine ganze Reihe von EU-Staaten - nicht Deutschland - hat in den zurückliegenden Wochen Zeichen im Sinne einer Palästina-Anerkennung gesetzt (siehe Karte). Am Mittwoch hat sich auch das Europaparlament »grundsätzlich« für die Anerkennung eines Palästinenserstaates ausgesprochen. Ein solcher Schritt müsse mit der Wiederaufnahme von Friedensgesprächen einhergehen, forderte die EU-Vertretung am Mittwoch in einer Entschließung. Die Koexistenz eines israelischen und eines palästinensischen Staates sei »die einzig mögliche Lösung des Konflikts«, heißt es darin.
Die von Vertretern der Linken gewünschte Aufforderung an die 28 EU-Staaten, Palästina »unverzüglich« als Staat anzuerkennen (siehe Kolumne Seite 4), wurde auf Druck der Konservativen aus der Vorlage gestrichen. Dies falle »in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten«.
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