Duales System in der Krise
Studie warnt vor Entwicklungen auf dem Ausbildungsmarkt - Zahl der Unvermittelten höher als offiziell verlautbart
Die Anzahl der 2014 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge markiert einen neuen Tiefpunkt. «Seit der Wiedervereinigung Deutschlands gab es nie weniger neu abgeschlossene Ausbildungsverträge als 2014», schreiben die Forscher vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in ihrer aktuellen Erhebung «Duales System vor großen Herausforderungen». Insgesamt 522 000 neue Ausbildungsverträge zählte das BIBB bis zum Stichtag am 30. September. Zum Vergleich: Im Jahre 2004 waren es noch rund 50 000 mehr.
Auch die Gesamtzahl der Ausbildungsangebote hat demnach abgenommen. Standen 2004 noch gut 586 000 Plätze zur Verfügung sind es mittlerweile nur noch rund 559 000. Noch deutlicher wird der Rückgang in der Langzeitbetrachtung: Im Jahre 1992 wies die Statistik 725 000 Plätze aus. Ein Minus von mehr als 139 000! Kein Wunder, dass in diesem Jahr insgesamt 44 000 Plätze fehlten. Dabei ist die Situation noch dramatischer, wie das Bundesinstitut zugeben muss. So habe die rechnerische Gesamtzahl aller Interessierten mehr als 810 000 Personen betragen. Das heißt: In Wirklichkeit blieben mehr als 200 000 Menschen unversorgt. Diese werden aber nicht mitgezählt, weil «sie ihren Vermittlungswunsch vor dem Bilanzierungsstichtag abgaben». Wobei die Zahlen wahrscheinlich noch größer sind. Im Kleingeruckten heißt es im Bericht, dass «erfolglose Marktteilnehmer, die ihren Ausbildungswunsch nicht der Arbeitsverwaltung mitgeteilt hatten», in den «offiziellen Größen» nicht enthalten seien.
Hinzu kommen weitere Probleme: So konstatiert das BIBB große «Passungsprobleme». Das heißt, was die Arbeitgeber bieten, entspricht nicht immer den Vorstellungen der jungen Menschen. Das Institut spricht von hohen Anteilen an unbesetzten Ausbildungsstellen und erfolglosen Bewerbern. Angebot und Nachfrage würden «nicht ausreichend zueinander finden». So habe 2014 die Zahl der unbesetzten Ausbildungsangebote «besonders stark zugenommen». So konnten erneut weniger Menschen im dualen System, aus Betrieb und Berufsschule untergebracht werden. Wenn man so will, entspannt der demografische Wandel die Lage. Weil die Jahrgänge immer kleiner werden, übertraf der Rückgang der Nachfrage den Rückgang des Ausbildungsplatzangebotes noch.
Weiter unter Druck gerät das duale System durch einen Trend, der auch 2014 ungebrochen war. Immer mehr Jugendliche gehen von der Schule direkt an eine Universität. Die Relation zwischen Azubis und Studenten habe sich in den letzten Jahren massiv verschoben, beobachtet das BIBB. Standen im Jahr 1998 noch einem Studienanfänger zwei Personen mit neuem Ausbildungsvertrag gegenüber, beträgt das heutige Verhältnis eins zu eins«, ist in der Studie nachzulesen.
Trotzdem konnten bis Oktober 2014 mehr als 37 000 offene Stellen nicht besetzt werden. Offenbar sind es mittlerweile noch mehr. Wie die Bundesagentur für Arbeit (BA) in ihrem Monatsbericht November einräumt, gingen bis Mitte November 6800 weitere Meldungen freier Plätze ein. »Besonders deshalb, weil Jugendliche ihre Ausbildung gar nicht begonnen hatten oder Ausbildungsverträge während der Probezeit aufgelöst wurden«, so die BA. Von diesen 6800 waren laut Bundesagentur Mitte November noch 3000 frei.
Der Rückgang der Ausbildungsplätze traf nicht alle Branchen gleichermaßen. Während das Angebot bei Industrie und Handel deutlich schrumpfte, konnten Handwerk, Öffentlicher Dienst und Landwirtschaft leichte Zugewinne vermelden.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.