Gnadenlose Schönheit
Durch den Vulkanausbruch Ende November auf der Insel Fogo verloren 1500 Menschen ihr Zuhause - sie brauchen dringend Hilfe
An einem Vormittag Mitte Oktober wanderte ich mit Cecilio Montrond auf den Pico Pequeno (Kleiner Pico), der beim letzten Vulkanausbruch des 2829 Meter hohen Pico de Fogo im Jahr 1995 entstanden war. Es war Cecilios erste Tour nach einem schweren Unfall zwei Jahre zuvor. Lange hatte er befürchtet, nie wieder laufen zu können, doch dank solidarischer Hilfe vieler Gäste des deutschen Reiseveranstalters »One World«, für den Cecilio als Guide arbeitete, konnte er im Sommer dieses Jahres in Deutschland erfolgreich operiert werden (siehe »nd« vom 15./16.11., S. 31).
»Jetzt wird alles gut«, freute sich der leidenschaftliche Wanderführer, der in Portela am Fuße des Pico de Fogo geboren wurde und nirgendwo anders leben wollte als dort. Nach der Wanderung saßen wir im Hof seines Hauses, tranken Wein, und Cecilios Nachbar Camilo spielte melancholische Lieder. Voller Stolz führte uns Cecilios Frau Elena durch das Haus. Gerade hatten sie einen Teil zu einer gemütlichen Pension mit sechs Zimmern umgebaut. Diese und Cecilios nun wieder möglicher Job als Wanderführer würden den Lebensunterhalt der Familie sichern. Als wir am nächsten Tag den Chã das Caldeiras - den riesigen urzeitlichen Kraterkessel, in dem die beiden Dörfer Portela und Bangaeira liegen - verließen, umarmte uns Cecilio und sagte: »Kommt zurück. Wer werden hier sein.«
One World hat ein Hilfskonto eingerichtet. Unter dem Verwendungszweck »Fogo« kann man eine Spende überweisen:
Empfänger:
Heike Alter/One World;
Sparkasse Dortmund;
IBAN:
DE16 4405 0199 0002 9133 30
BIC: DORTDE33XXX
Weitere Infos:
www.reisenmitsinnen.de
Da ahnte noch niemand, dass wir nie wieder nach Portela und Bangaeira zurückkehren können. Denn beide Dörfer gibt es nicht mehr. Am 23. November, morgens um 10 Uhr, begann der Kleine Pico Feuer und Lava zu spucken, die sich schnell in Richtung Portela bewegte. Noch blieben die Bewohner, die zum Glück rechtzeitig gewarnt wurden, relativ ruhig, begannen, ihr Hab und Gut auf höher gelegene Hänge in Sicherheit zu bringen. Wie vor 19 Jahren, als der »große Bruder«, der Pico de Fogo, ausbrach, würden auch diesmal ihre Dörfer verschont bleiben, hofften sie.
Doch es kam ganz anders: Diese 27. Eruption seit den Aufzeichnungen über die Aktivitäten des Vulkans ist die schlimmste, die der Chã das Caldeiras je erlebte. Tatenlos mussten die Bewohner zuschauen, wie die Glut auf ihre Dörfer zurollte und sie Haus für Haus verschlang. Als Erstes musste zwei Tage nach Beginn des Ausbruchs das erst im März fertiggestellte Naturparkzentrum aufgegeben werden.
Am gleichen Tag postete Mustafa Kerim Erem, dessen Pension »Pedra Brabo« am Ortseingang von Portela seit einigen Jahren ein beliebtes Ziel von Klettertouristen aus der ganzen Welt war, auf Facebook ein beeindruckendes Foto vom Feuer spuckenden Vulkan und schrieb dazu: »Gnadenlose Schönheit«.
Vier Wochen zuvor wohnte ich in seiner Pension, die er mit viel Liebe selbst erbaut hatte. Er zeigte mir die kurz zuvor angebrachten Sonnenkollektoren auf dem Dach, mit deren Hilfe er nun seinen eigenen Strom erzeugen konnte. Im Garten blühten üppig die Hibiskusbüsche, am Abend saßen wir zusammen, und Mustafa erzählte von seinen Zukunftsplänen: vom Ausbau des sanften Tourismus, der im Vulkankessel in den letzten Jahren so langsam Fuß zu fassen begonnen hatte und vielen Menschen aus der Chã das Caldeiras einen bescheidenen Wohlstand sicherte.
Vier Tage nach dem Ausbruch eine neue Nachricht von Mustafa: »Wir ziehen um. Ziel: So früh wie möglich zurück.« Die Lava kam seiner Pension immer näher, doch aus seinen wenigen Worten sprach noch immer die Hoffnung auf ein gutes Ende. Am 2. Dezember war sie gestorben. »Pedra Brabo wurde heute zerstört«, teilte er kurz mit und setzte ein Foto dazu, auf dem zu sehen ist, wie die Lava, nachdem sie die Pension überrollt hatte, sich einen Weg durch die Toreinfahrt des Grundstücks nach draußen sucht. Nur wenige Minuten später fraß sie auch Cecilios Haus gleich gegenüber. Während für diesen dadurch jede Hoffnung starb, hatte Mustafa noch einen Strohhalm, an den er sich klammern konnte: Am Ende des Dorfes betrieb seine Frau Marisa ebenfalls eine Pension, vielleicht würde ja ein Wunder geschehen und die Glut käme zum Stillstand. Das Wunder blieb aus. Im Gegenteil: Inzwischen spuckte der Vulkan bereits aus sieben Kratern Feuer und heiße Glut. Am 7. Dezember teilte Mustafa mit: »Casa Marisa - heute zerstört.« In einer offiziellen Erklärung der Regierung vom selben Tag ist zu lesen: »Beide Dörfer wurden von der Landkarte ausradiert.«
Ich habe große Mühe, mir das vorzustellen. Es ist doch erst ein paar Tage her, dass ich die lachenden, spielenden Kinder vor ihrer Schule fotografierte. Dass ich darüber staunte, dass das kleine Portela gleich zwei Kirchen hat. Dass mir Cecilio stolz die vielen Obst- und Gemüsegärten zeigte. Und dass ich mit dem Önologen David Montrond die Schätze aus dem Weinkeller der Kooperative Chã probierte. Nichts von alldem ist übrig geblieben, nur ein paar Dächer ragen noch aus der Lava hervor.
Der Weinbau hatte für die Menschen der Chã das Caldera eine besondere Bedeutung. Fast jede Familie hier baute Trauben an und verkaufte einen Teil an die Weinkooperative. So floss gutes Geld in die Kassen der Bewohner. Mehr als 100 Weinanbauer gehören der 1998 gegründeten Weinkooperative an, die nach dem letzten Ausbruch des Pico de Fogo 1995 mit italienischer und EU-Hilfe aufgebaut wurde. Seitdem wuchs der Ertrag von 4000 Flaschen im ersten Jahr auf rund 100 000 Flaschen Rot-, Weiß- und Roséwein sowie eine Trockenbeerenauslese im vergangenen Jahr. Gerade hatten sie noch mal richtig in moderne Technik investiert, um die schon sehr gute Qualität noch weiter zu verbessern. Geplant war, in den nächsten Jahren zertifizierte Qualitätsweine auch zu exportieren.
Daraus wird wohl auf lange Zeit nichts werden, denn fast alle landwirtschaftlich nutzbaren Flächen liegen unter einer dicken Lavaschicht. Selbst wenn es möglich ist, an anderer Stelle neue Reben zu setzen, wird es Jahre dauern, bis sie Trauben tragen. Unter großen Mühen gelang es den Mitarbeitern der Kooperative wenigstens, den größten Teil des Weines vom letzten Jahr aus den Kellern und Tanks in Sicherheit zu bringen. Doch das ist nur ein schwacher Trost für die Winzer.
Alle Bewohner von Portela und Bangaeira sind zurzeit in Notunterkünften außerhalb der Gefahrenzone untergebracht. Die Regierung hat versprochen, die Dörfer wieder aufzubauen. Doch als sicher gilt derzeit, dass diese nicht in der Chã das Caldeiras entstehen werden, sondern ein ganzes Stück entfernt. Inzwischen gibt es nicht mal mehr einen Zugang zu den zerstörten Dörfern. Die ebenfalls erst in diesem Jahr fertiggestellte Straße hat sich der Vulkan zurückgeholt. Mehrere Bewohner von Portela und Bangaeiras versuchten kürzlich in der verzweifelten Hoffnung, doch noch etwas von ihren Habseligkeiten retten zu können, in die zerstörten Orte zu gelangen. Sie mussten aber angesichts der unüberwindlichen Lavamassen unverrichteter Dinge umkehren. »Die Rückkehr glich einem Trauermarsch«, berichtete die kapverdianische Nachrichtenagentur Inforpress. »Sie bedeutete den endgültigen Abschied von der Chã das Caldeiras.«
Die Menschen konnten zwar ihr Leben retten, doch jegliche Lebensgrundlagen wurden ihnen genommen. Viele sind verzweifelt, wissen nicht weiter, haben alle Hoffnungen verloren. Bei meinen täglichen Klicks durchs Internet in den vergangenen Wochen bin ich auf viele Bilder gestoßen, die ein Lied davon singen. Einmal sogar im wörtlichen Sinne: Ich sah ein Video, in dem Camilo, der uns im Oktober in Cecilios Haus mit seinen melancholischen Liedern über die Schönheit seiner Insel zu Tränen rührte, auf einem Hügel sitzen und ein tieftrauriges Lied über die Zerstörung seiner Heimat singen.
Damit die Menschen ihren Lebensmut und ihre Hoffnung wiederfinden, ist finanzielle Hilfe für einen Neustart dringend notwendig. Auch der nachhaltig arbeitende Reiseveranstalter »One World«, der sich seit vielen Jahren auf den Kapverden stark engagiert, hat eine Spendenaktion gestartet, um den evakuierten Familien zu helfen. Mit den Spendengeldern soll vor allem Hilfe zur Selbsthilfe gegeben werden. Zum Beispiel durch den Kauf von Saatgut und Werkzeug für den Wiedereinstieg in die Erwerbstätigkeit, für Überbrückungsgelder und für Mikrokredite.
Auch sechs Wochen nach dem Ausbruch spuckt der Vulkan weiter, wenngleich auch nicht mehr so stark. Die Ersten, unter ihnen Mustafa, haben bereits einen Neuanfang gewagt. Er führt wieder Touristen durch nicht zerstörte Teile der Region. Vor zwei Tagen postete er: »Entgegen aller Erwartungen: Wir beginnen wieder zu arbeiten. Es fühlt sich einfach gut an.«
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