»Schick mal ’ne Bombe rüber«
Die alte Rohrpost gibt es immer noch - die größte Anlage Europas läuft in Hannover
Erst kommt ein ruckelndes Geräusch, dann zischen die Plastikbüchsen durch den Untergrund. Zwischen den acht Etagen im Komplex der Medizinischen Hochschule in Hannover (MHH) verbirgt sich ein 50 Kilometer langes Versorgungsnetz mit 175 Sendestationen. Es ist nach Angaben der Hochschule die größte Rohrpostanlage Europas. Ob Röntgenbilder, Blut-, Urin- oder Gewebeproben: Rund 20 000 Mal in der Woche jagen die Hochschulmitarbeiter Inhalte in Plastikbüchsen mit Unterdruck durch die Rohrpostleitungen.
Maximal vier Minuten ist die Flaschenpost auf der längsten Strecke in der Klinik unterwegs - zu Fuß würde man für diese Strecke zehn Minuten mehr brauchen. Bei wichtigen Befunden kann das Leben retten, erklärt der Leiter der Rohrpostanlage, Andreas Novak. »Wenn die Anlage ausfällt, würde das unseren Betrieb erheblich behindern.«
Und es werden weiter neue Systeme eingerichtet, etwa im Klinikum Stuttgart. Dort baut Aerocom aus Schwäbisch Gmünd die Technik ein. Das Familienunternehmen ist nach eigenen Angaben der weltweit größte Rohrpost-Hersteller. Mit 30 Millionen Euro Umsatz im Jahr liefert die Firma ihre Technologie in 80 Länder.
Auch in Behörden oder Elektrogeschäften komme die Rohrpost zum Einsatz, sagt Aerocom-Geschäftsführer Roland Pfitzer. Dank der weltweit wachsenden Gesundheitsbranche boomt die Luftdruckpost besonders in Südostasien und im arabischen Raum. Allein in China verzeichnet der Hersteller mit rund 200 Mitarbeitern eine Wachstumsquote von 20 Prozent.
In der Hochschule in Hannover werden auch persönliche Gegenstände wie Schlüsselbunde nicht selten per Luftantrieb auf den Weg gebracht. Die Bedienung ist recht simpel: An den Sendestationen wird der Zielort per Code eingeben. Dann kommt die Büchse in eine Öffnung, Klappe zu, los geht die Fahrt. Von der Zentrale der Anlage aus wird dann das Ziel angesteuert. »Schickt uns mal 'ne Bombe rüber«, heißt das im Klinik-Jargon.
Die Rohrpost-Technik ist alt: 1863 ging die erste Anlage in London in Betrieb. Seine Blütezeit in Deutschland erlebte das System in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, hauptsächlich um Briefe und Telegramme in Großstädten zwischen Postämtern hin- und herzuschicken.
Im öffentlichen Leben hat die Rohrpost heute zwar weitgehend ausgedient, aus Krankenhäusern ist sie aber kaum wegzudenken: So schlängelt sie sich auch durch das Heidelberger Universitätsklinikum, die Leipziger Uni-Frauenklinik oder die Berliner Charité.
Das Geschäft mit der Rohrpost steht stellvertretend für einen aktuellen Trend in der Intralogistik, dem Transport innerhalb eines Unternehmens. Nach Schätzungen des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) wird sich der Umsatz in diesem Bereich von 19,7 Milliarden Euro im Jahr 2013 auf 20,3 Milliarden Euro im Folgejahr steigern. »Allein 2013 lag das Exportvolumen von Deutschland bei 13,1 Milliarden Euro«, erklärt der VDMA-Geschäftsführer für Fördertechnik und Intralogistik, Sascha Schmel.
Die wichtigsten Märkte liegen in den USA, Frankreich und China. Aber auch Latein- und Südamerika seien Wachstumsmärkte für Rohrposthersteller, erklärt Pfitzer. Hier vertrauten die Betreiber von Tankstellen oder Supermärkten zunehmend auf die Rohrpost anstelle auf Geldboten: Ohne den Risikofaktor Mensch transportieren sie so Bargeld von der Kasse in den Tresorraum.
Doch die insgesamt recht sichere Technologie blieb in ihrer 150-jährigen Geschichte nicht ganz von Gaunern verschont. Ein großer Coup gelang Dieben im Jahr 1981 in der Berliner Spielbank: Sie schnitten die Hausrohrpost zwischen Spielsaal und Tresorraum auf und ließen mehr als eine halbe Million Mark in ihre Tasche wandern. Erst am nächsten Morgen wurde der Vorfall bekannt - da waren die Kriminellen schon längst über alle Berge. dpa/nd
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