Im kalten Regen von Gaza
Trotz hoffnungsvoller Versprechungen kommt der Wiederaufbau kaum in Gang
In den Krankenhäusern von Gaza und Umgebung hat das Personal zur Zeit alle Hände voll zu tun. Es ist sehr kalt in der Region; vor einigen Tagen ist Schnee gefallen, der dann in einen tagelangen, kalten Regen überging. Und Regen, sagt man beim UNO-Flüchtlingshilfswerk, sei fast noch schlimmer als Schnee. Er dringt bis tief in die Häuser, deren Fenster oft nur ein Loch in der Wand sind, macht frei liegende Stromleitungen zu tödlichen Fallen und spült allerlei Unrat, der vom Krieg im Sommer übrig geblieben ist, ins Grundwasser. »Erfrierungen und Brandverletzungen sind hier momentan an der Tagesordnung«, sagt Khalil Schweiki, Arzt am Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt: »Und dann haben wir unglaublich viele internistische Erkrankungen, die auf eine mangelhafte Wasserqualität zurückzuführen sind.«
Viel tun können die Mediziner meist nicht. Es mangelt nach wie vor an allem; obwohl eine Geberkonferenz im Oktober Rekordzusagen verzeichnete, kommt der Wiederaufbau des Gaza-Streifens nicht voran. Gerade einmal 2,3 Prozent der umgerechnet 4,3 Milliarden Euro wurden bisher abgerufen. Nur knapp ein Prozent des benötigten Zements wurde geliefert. Ägypten hat seine Grenze mittlerweile nahezu vollständig geschlossen und errichtet derzeit eine breite Sicherheitszone, für die bis zu 20 000 Menschen zwangsweise umgesiedelt werden.
Wenn sich nicht bald etwas ändere, werde es zur Explosion kommen, sagt ein Sprecher der Essedin-al-Kassam-Brigaden. Sie sind der militärische Flügel der Hamas, stehen aber in Konkurrenz zur politischen Führung der Organisation in Gaza. Wie schlecht die Stimmung zwischen den einzelnen Fraktionen ist, zeigte sich, als am Dienstag mehrere hundert Palästinenser, die bis Juni für die Verwaltung der Hamas-Regierung gearbeitet hatten, die Büros der Einheitsregierung besetzten, um die Auszahlung der Gehälter für die vergangenen Monate zu fordern.
Im Juni hatten die beiden rivalisierenden Regierungen die Bildung einer gemeinsamen Verwaltung für Gaza vereinbart; übernommen wurden aber nur jene Angestellte, die bis zur Machtübernahme der Hamas im Sommer 2007 für die Regierung gearbeitet hatten. Mitarbeiter der Hamas sollten nur nach einer Unbedenklichkeitsprüfung eingestellt werden - ein Prozess, der nie in Gang kam.
»Die meisten von uns brauchen das Geld, um Zement auf dem schwarzen Markt zu kaufen«, sagt einer der Bürobesetzer am Telefon. Denn anders ist es in Gaza derzeit nahezu unmöglich, an Baumaterial zu kommen. Um zu verhindern, dass Lieferungen für die Herstellung von Waffen verwendet werden, haben Israel und die Vereinten Nationen ein kompliziertes Prozedere vereinbart.Wer Material benötigt, muss einen Antrag stellen, der dann Israels Behörden zur Zustimmung vorgelegt werden muss. Und das ist ein langer Weg.
Funktionierende Strukturen gibt es auch mehr als sieben Monate nach der Bildung der Einheitsregierung nicht. Hamas und die das Westjordanland dominierende Fatah streiten bereits seit über einem Monat darüber, ob es ihre »Große Koalition« überhaupt noch gibt. Ende November hatte die Hamas erklärt, das Abkommen sei ausgelaufen, nachdem - anders als vereinbart - keine Wahlen abgehalten wurden. Die Fatah bestreitet, dass im Vertrag eine solche Klausel enthalten ist. Wer nun in Gaza das Sagen hat, können selbst jene Diplomaten nicht mehr sagen, für die Gaza Tagesgeschäft ist.
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