Deutsches Drohen, europäisches Denken
Ein Online-Feature zur Wahl in Griechenland und zur Debatte um SYRIZA
Die Wahlen in Griechenland sind mehr als nur die Abstimmung über eine neue Regierung. In einer Woche wird auch ein Urteil über die europäische Krisenpolitik, über deutsches Spardiktat und Austeritätsdogma gefällt.SYRIZA will einen sozialen Neuanfang und verlangt Verhandlungen über die Schulden. Parteichef Tsipras wurde dafür als »Brandstifter« diffamiert. Eine Sonderseite zu drei Wochen SYRIZA-Debatte.
Man kann diese Geschichte als die eines politischen Kampfes zwischen gut und böse, zwischen sozial und neoliberal, zwischen deutscher Kapitalmacht im Zentrum und den Interessen von Menschen in der europäischen Peripherie erzählen. Wenn in Griechenland die linke SYRIZA die Wahlen gewinnt, wird zwar nicht alles anders - aber vielleicht auch nicht nur manches besser. Kompromisse? Werden nötig sein. Enttäuschung? Ist programmiert. Aber ein Erfolg von Alexis Tsipras [ein Porträt von Katja Herzberg] könnte dennoch über die Grenzen des Landes hinaus strahlen, es wäre der praktische Beleg dafür, dass politische Alternativen, solche, die diesen Namen auch verdienen, nicht nur eine Chance in linken Strategiepapieren haben - sondern auch bei einer Parlamentswahl.
Man sollte die Geschichte der Neuwahlen [Ein FAQ zur Wahl] in Griechenland aber auch als die einer Anpassung erzählen, eine, in der zudem die europäischen Unterschiede sichtbar wurden. Eine Geschichte, in der aus dem vermeintlich »gefährlichsten Mann Europas«, wie SYRIZA-Chef Tsipras schon genannt wurde, ein politischer Verhandlungspartner in spe wurde, dessen Ansichten man zwar nicht teilt, mit dem eine Lösung über die hoch kontroverse Frage der Schuldenentlastung anzustreben aber mehrheitlich als vernünftig angesehen wird.
Es hatte noch vor drei Wochen nicht so ausgesehen. Allen voran deutsche Zeitungen nahmen das Scheitern der Präsidentenwahl in Griechenland, welches das Tor zu Neuwahlen aufstieß, zum Anlass, aggressiv Front vor allem gegen einen möglichen Erfolg der in den Umfragen führenden SYRIZA zu machen. [Ein Überblick über die griechischen Parteien.] »Wieder Stress mit Athen«, hieß es da, Tsipras wurde zum »Albtraum für die europäischen Politik«, gar zum »charmanten Brandstifter«. Andere wussten: »Jetzt fängt die Euro-Krise erst richtig an.«
Ob das eine Presse-Ente war, die der deutschen Regierungspolitik vorweg lief - oder doch eher ein Medienecho im Gleichschritt mit Angela Merkels Krisenkurs, sei einmal dahingestellt. Aus Union und SPD drang Ende Dezember jedenfalls eine Welle politischer Ordnungsrufe, die von einer freien politischen Entscheidung der Griechen nichts wissen wollen: Was hierzulande als »Konsolidierungskurs« bezeichnet wird, viele Griechen allerdings als von der Troika aus EZB, EU und IWF organisierte Massenverarmung erleben, müsse fortgesetzt werden - egal, wie die Wahlen ausgehen.
Unterstützt von Durchstechereien an die Presse, die glauben machen sollten, die Bundesregierung sei für einen »Grexit«, also das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro gewappnet, reihten sich auch deutsche Sozialdemokraten in die Anti-SYRIZA-Front ein: »Es ist den Steuerzahlern in Deutschland und dem Rest Europas nicht zu vermitteln, wenn in Griechenland die Probleme ausgesessen werden«, sagte Fraktionschef Thomas Oppermann.
Ausgesessen? Zwar hat die bisher amtierende Regierung aus konservativer Nea Dimokratia und sozialdemokratischer Pasok die Kernpunkte der »Strukturreformen« umgesetzt - massive Sozialkürzungen, Deregulierung des Arbeitsmarktes, drastische Verschlechterungen der sozialen Mindeststandards, Verringerung des Staatsdefizites. Die griechische Ökonomie kam »nach einem Schrumpfungsprozess um rund 25 Prozent nicht aus dem Kriechgang heraus«, wie es die linken Publizisten Joachim Bischoff und Björn Radke bilanzierten. [Kurt Stenger zur griechischen Wirtschaft]
Umso zynischer musste klingen, wenn Oppermann mit Blick auf die Forderungen von SYRIZA und deren Wahlaussichten erklärte, er sei zuversichtlich, dass die Mehrheit der Griechen sich »auf ein solches Abenteuer nicht einlassen« würde. Waren es in der deutschen Diskussion zunächst die Linkspartei und dann auch die Grünen, die auf das Recht der Griechen pochten, über ihre Politik selbst zu entscheiden, kamen mäßigende Töne recht schnell auch aus anderen Euro-Ländern. Die EU-Kommission sah sich veranlasst, die deutschen Grexit-Propagandisten daran zu erinnern, dass ein Ausstieg aus dem Euro vertraglich gar nicht vorgesehen ist. Der frühere EU-Währungskommissar Olli Rehn von der finnischen Zentrumspartei nannte es »übertrieben, dass einige den Teufel an die Wand malen«.
Die Chronologie der Krise
Auch in anderen EU-Staaten schien man über die Einmischung in den griechischen Wahlkampf eher irritiert. Zumal in denen, wo es nicht gleich als sozialistisches Teufelszeug gilt, wenn darauf gedrängt wird, ein Schuldendienst dürfe nicht jede politische Handlungsmöglichkeit zerstören, die auf mehr Binnennachfrage, konjunkturelle Erholung und soziale Investitionen ausgerichtet ist.
In Ländern wie Italien, Spanien und Portugal, die ebenfalls schwer in die Krise geraten waren, wird der Umgang mit Griechenland interessiert beobachtet. Auch aus Frankreich, das in der Frage der Krisenpolitik gegenüber Merkel-Deutschland mit am lautesten auf die Notwendigkeit von Wachstum verwies und vor einem zum ideologischen Tick gewordenen, blinden Austeritätskurs warnte, kamen zurückhaltende Töne. Zwar müsse Griechenland seine Verpflichtungen einhalten, sagte Präsident Francois Hollande Anfang Januar. Er sagte aber auch: »Die Griechen entscheiden frei über ihre Geschicke.« Und dieses Ergebnis müsse von den europäischen Regierungen akzeptiert werden.
In Deutschland begann der Wind nach den Feiern zum Jahreswechsel dann auch langsam etwas zu drehen. Nicht nur, dass SYRIZA mit einer Informationsoffensive versuchte, den pauschalen Medienbildern von den »Linkspopulisten« etwas entgegenzusetzen - differenzierte Hintergründe über die politischen Ziele, auch über Kompromissmöglichkeiten. Ein Athener Hedgefonds-Manager bescheinigte SYRIZA in einer großen Illustrierten, sich in den vergangenen zwei Jahren reformiert zu haben: »Die Partei steht heute für eine pragmatische Finanzpolitik.« [Wie Alexis Tsipras selbst seine Politik beschreibt, lesen Sie in diesem Gastbeitrag] Immer öfter meldeten sich auch Wirtschaftsexperten zu Wort, die zuvor nicht unbedingt als Freunde von SYRIZA in Erscheinung getreten waren - nun aber darauf hinwiesen, dass ein Schuldenerlass nicht nur möglich, sondern auch sinnvoll ist.
Hinzu kamen die immer unmissverständlicher werdenden Signale aus Brüssel: Dort wachse die Unterstützung für einen Schuldenschnitt, berichteten Zeitungen unter Berufung auf ranghohe EU-Kreise. Dieser sei »unausweichlich, weil das Land sonst mit seiner Schuldenlast nicht fertig wird«. Europapolitiker der SPD wie der frühere EU-Kommissar Günter Verheugen erinnerten daran, dass die »Rettung« Griechenlands vor allem eine Rettung der deutschen und französischen Banken gewesen sei, mehr noch: Die Krisenpolitik müsse überprüft und grundlegend geändert werden.
Hinter den Kulissen wurde derweil versucht, einen Gesprächsfaden zu knüpfen. Tsipras hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zwar 2013 einmal besucht. Nun aber hieß es, neuere Kontakte liefen über Staatssekretär Jörg Asmussen - der ist Mitglied der SPD, saß im Direktorium der EZB und war ab 2008 unter Finanzminister Schäuble bereits für die Politik gegenüber Griechenland zuständig. Auch die deutsche Botschaft in Athen steht dem Vernehmen nach mit SYRIZA in Kontakt.[Wie deutsche Gewerkschafter zu SYRIZA stehen, berichtet Jörn Boewe]
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Vor zehn Tagen wurde das Thema Griechenland dann endgültig zu einem Streitfall zwischen den Regierungsparteien: Nordrhein-Westfalens SPD-Finanzminister Norbert Walter-Borjans kritisierte Merkels Einmischung per Drohung mit dem Euroaustrittsszenario direkt und nannte es »bedauerlich, dass die Kanzlerin insbesondere vor Wahlen im In- und Ausland aus erkennbar innenpolitischen Erwägungen immer wieder Irritationen unter den europäischen Partnern in Kauf nimmt, die am Ende enormen Schaden anrichten können«.
Worin die innenpolitischen Erwägungen bestehen könnten? Erstens hat eine schon länger wirkende Anti-Griechenland-Stimmungsmache ihre Ziele nicht verfehlt. [Tom Strohschneider über den »Bild«-Wahlkampf gegen Syriza] Vergangene Woche sagten in einer Umfrage 61 Prozent der Befragten, Griechenland müsse die Euro-Zone verlassen, wenn die mit den internationalen Geldgebern verabredeten Spardiktate nicht eingehalten würden. Ein Schuldenerlass für Griechenland kam nur für 28 Prozent in Betracht, 68 Prozent der Befragten lehnten das ab. Merkel, von der bekannt ist, dass sie Politik sehr gezielt nach Stimmungslagen ausrichtet, wird das berücksichtigt haben.
Apropos innenpolitischen Erwägungen: Die CDU-Vorsitzende wird allerdings auch bemerkt haben, dass die Rechtspartei AfD, die sich am Thema Eurokrise aufgerichtet hatte, trotz des Wahlkampfes in Griechenland zunächst eher verhalten auftrat. In der Öffentlichkeit vor allem damit befasst, das Verhältnis zur islamfeindlichen Rechts-Apo Pegida zu klären und von schweren internen Machtkämpfen geschüttelt, ließ die vermeintliche Alternative für Deutschland das Thema praktisch liegen. Bis in dieser Woche der AfD-Europaabgeordnete Hans-Olaf Henkel forderte, die »Notbremse« zu ziehen. Sein Ruf »Raus aus dem Euro« galt aber nicht den alten oder neuen Regierenden in Athen. Der frühere Industrielobbyist plädierte für ein Ausscheiden der Bundesrepublik aus der Gemeinschaftswährung - »entweder allein oder zusammen mit anderen Eurostaaten«.
Das ist so wenig wahrscheinlich, wie man sich beruhigt zurücklehnen sollte. Die Forderungen von SYRIZA nach Schuldenerleichterung werden erst im Falle eines Wahlsiegs von Alexis Tsipras und einer erfolgreichen Regierungsbildung in Athen virulent. Am 26. Januar, am Tag nach der Griechenland-Wahl, treffen sich die Euro-Finanzminister in Brüssel. Das Treffen ist turnusmäßig angesetzt, das Thema könnte ein außerplanmäßiges werden. Mit welchen Wirkungen auch auf die deutsche Diskussion - das bleibt abzuwarten.
Henkel von der Rechtspartei AfD hat zumindest schon einmal einen Vorgeschmack darauf gegeben, was drohen könnte: eine nationalistisch aufgeladene Ethnisierung der Währungsfrage. »Wir müssen wieder dafür sorgen, dass die Währungen den unterschiedlichen Kulturen entsprechen«, verlangte Henkel. Nicht völlig ausgeschlossen, dass das ein nächstes Thema von Pegida wird.
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