Kein Platz für Zwischentöne
Beim Bürgerforum in Leipzig hatten es Fürsprecher der Flüchtlinge nicht leicht
Alter macht nicht klug. Nicht immer. Am Dienstagabend in der Leipziger Volkshochschule ging es um das Thema »Für ein Europa freier Bürger mit offenen Grenzen«. Eingeladen hatten ehemalige DDR-Bürgerrechtler, der Polizeiseelsorger Stephan Bickhardt und Rolf Sprink, Mitbegründer des Neuen Forum und heutiger Leiter der Volkshochschule. Hauptsächlich Männer im Rentenalter, Pediga-Sympathisanten oder -Interessierte hatten das Wort, und sie taten meistens, was für die Bewegung so typisch ist: Dampf ablassen. Vier Stühle waren vor dem Publikum aufgebaut, das sollte zum Dialog einladen, zu dem es aber kaum kam. Zu wichtig war das, was man schon immer mal sagen wollte.
Drei Minuten Zeit hat jeder, so die Regel. Es geht los mit den Steuern: Was damit passiert, sei außer Kontrolle, man werde nach Strich und Faden verarscht, verkündet ein ergrauter Mann in den 60ern mit weißem Rollkragenpullover. Die Moderatoren bedanken sich für den »Mut«, das gesagt zu haben, und das Mikrofon geht weiter an einen alten Mann, der von der zweiten »Reichskristallnacht« erzählt. Er meint eine Demonstration anlässlich des jüngsten Mordes an einem Flüchtling in Dresden. Dabei gingen vergangene Woche in Leipzig Scheiben zu Bruch, Parolen und der Name des Ermordeten wurden gesprüht: »Reichskristallnacht«? Kein Widerspruch aus dem Publikum.
Der Islam, die Einheit und Gleichheit aller Muslime werden häufig beschworen, »Multikulti« und islamistischer Terror in einem Atemzug genannt, Bücher des SPD-Politikers Heinz Buschkowsky empfohlen. Nur wenige Zwischentöne, die unterscheiden zwischen Islam und »Extremismus«, sind zu hören. Israel, die Juden und die »Auschwitz-Keule« werden ebenfalls kurz gestreift. Die Zuwanderung sei außer Kontrolle, und die Asylbewerber gerade in der Nachbarschaft seien ein Problem. Eine Frau sieht darin ein Zeichen, dass die Demokratie hier noch nicht wirklich Fuß fassen konnte. Ein Mann erzählt, wie er seinen Enkelkindern rät, sich von denen, die aussehen wie Terroristen, fern und auf Bahnhöfen Ausschau zu halten nach herrenlosen Gepäckstücken. Wegen der Bombengefahr.
Zwischendurch der Hinweis der Moderation: Auch Kritik an dem Vorgetragenen wäre willkommen. Drei Studentinnen sind unbekümmert genug, gegen Windmühlen zu kämpfen. »Hier werden alle über einen Kamm geschoren, und das ist Rassismus«, sagt eine. Die andere erzählt von ihrer Arbeit in einer Asylbewerberunterkunft: »Dort sitzen die Leute, die den islamistischen Terror wirklich erlebt haben, die vor dem Islamismus auf der Flucht sind«, und gegen sie werde »gehetzt«. Die Zwischenrufe werden lauter, die junge Frau kommt aus dem Konzept, verstummt und räumt ihren Stuhl.
Weiter geht es gegen die Lügenpresse und die Politiker, eine Außenpolitik, die Flüchtlinge produziert, gegen »Auswüchse im Internet«. Nicht alles ist falsch und absurd. Doch fast alles scheint in Frust, Hass, Neid und Selbstmitleid der letzten Jahrzehnte gebadet.
Legida, man habe sich das mal angeguckt. Einer sagt, er will da nicht wieder hin, ein Drittel der Teilnehmer seien Hooligans und Nazis. Andere loben den »Aufstand der Anständigen«. Kaum geht es um die dortigen Forderungen. Unbequeme Fragen, wie man beispielsweise gegen Frauenunterdrückung (Islam) und für das Ende der Gleichberechtigung (Deutschland) gleichzeitig sein kann, gibt es nicht. 28 Bürger sind am Ende zu Wort gekommen. Zuletzt noch einmal eine der Studentinnen - sogar der Umgang mit ihnen sei »diskriminierend« gewesen, klagt sie. »Krieg doch erstmal selber Kinder«, kriegt sie zu hören.
Die Veranstalter loben den »aufgeschlossenen und sensiblen« Umgang, die klaren Worte und versprechen eine Fortsetzung des »Dialogs«. Indes wollen die Bürgerrechtler überlegen, ob es nicht wirklich an der Zeit ist, wieder aktiv zu werden. In kritischer Antwort auf oder harmonischer Eintracht mit Legida?
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.