Den Dialog mit Pegida-Mitläufern suchen?

Die SPD streitet über die Grenzen der Gesprächsbereitschaft. Wir auch: Ein Pro & Contra von Wolfgang Hübner und Tom Strohschneider

Pro: Es wäre falsch, die Masse der Pegida-Demonstranten den rechten Hasspredigern zu überlassen, meint Wolfgang Hübner

Wer Berichte über Demonstrationen der ausländerfeindlichen Pegida-Bewegung sieht oder liest, kann eigentlich nur angewidert sein, sofern er einen Funken Anstand im Leibe hat. Angewidert zu sein ist aber kein politischer Begriff. Die Politik darf nicht bei Empörung stehen bleiben; sie muss überlegen, wie sie mit dem Phänomen Pegida umgeht, das ja nicht aus dem luftleeren Raum entstanden ist. Diverse Umfragen belegen seit langem erhebliche Anteile an rassistischem Denken in der Bevölkerung.

Die Politik muss sich fragen, woher das kommt und wie sie selbst dazu beigetragen hat. Nicht nur die Regierenden, alle müssen sich diese Frage stellen. Gregor Gysi, linker Oppositionsführer im Bundestag, sprach kürzlich auch von eigenen Versäumnissen und kündigte an, er wolle das Gespräch mit Pegida-Teilnehmern suchen. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat das jetzt getan und wird dafür kritisiert. Der Theologe Friedrich Schorlemmer bezweifelt den Sinn solcher Gespräche: »Die Ressentiments sitzen bei vielen Leuten so tief. Die wollen gar keine Demokratie.« Aber was ist die Alternative? Dass sich immer stärker eine nationalistische Parallelgesellschaft bildet, zu der längst nicht mehr nur Stiefelnazis gehören? Dass sich die AfD ungestört aus dem Wutbürgerpotenzial bedienen kann?

Ja, Widerstand gegen Pegida und Co. ist nötig. Laut, massenhaft, bunt, energisch. Die Zivilgesellschaft muss ihnen deutlich die Meinung sagen. Aber wenn alle Mitläufer pauschal in die Ecke gestellt werden, reagieren sie um so trotziger. Reden soll man nicht mit Organisatoren, rechtsradikalen Trittbrettfahrern oder Hogesa-Hooligans, mit denen das ohnehin schwierig wäre.

Wenn aber die Benachteiligten und diejenigen, die sich benachteiligt fühlen, nur noch die Sprache rechter Hassprediger verstehen; wenn nur noch Rechtspopulisten und Nazis eine Sprache sprechen, die bei von sozialem Verlust und Verlustängsten Betroffenen ankommt - dann hat die Demokratie verloren.

Contra: Tom Strohschneider warnt davor, per »Dialog« den Ansichten der Pegida-Bewegung Legitimation zu verschaffen

Sigmar Gabriel hat in Dresden mit Pegida-Anhängern diskutiert. Er hat seinen Auftritt als den eines Privatmannes etikettiert – aber schon in dieser abenteuerlichen Erklärung tritt das ganze Problem des nun oft geforderten »Dialogs« mit den Mitläufern der Aufmärsche zutage: Ein Parteivorsitzender ist in der Öffentlichkeit, zumal bei einer politischen Diskussionsrunde, nicht Privatmann. Mit der Teilnahme Gabriels ist der »Dialog« eine medial-politische Inszenierung geworden, er muss dies zwangsläufig – und wird so selbst zum Resonanzboden der Ansichten von Pegida, einer, der dazu beiträgt, rechte Forderungen zu normalisieren. Heißt: zu einem letztlich akzeptablen Teil der politischen Auseinandersetzung zu machen.

Wer dies tut, und sei es aus der gut gemeinten Absicht heraus, Mitläufer zur Umkehr zu bewegen, legitimiert Vorurteile und Abwertungen, die außerhalb eines Konsens demokratischer Aufklärung stehen. Pegida ist keine Bewegung, die irgendwelche Ängste artikuliert, sondern sie verursacht Ängste: bei Migranten, Flüchtlingen, Journalisten, Linken, Menschen mit ausländisch klingenden Namen und so fort. Mag sein, dass das zu Beginn der Demonstrationen vor einigen Wochen noch nicht allen überall in aller Deutlichkeit klar geworden war. Inzwischen ist aber mehr als ausreichend dokumentiert, wer die Drahtzieher der Pegida-Aufmärsche sind – und deshalb ist auch sozialpolitisch verkleidete Rücksichtnahme auf jene, die hinter Pegida und ihren Deutschlandfahnen hinterherlaufen, falsch.

Es steckt in der Frage nach dem »Dialog« im übrigen eine alte linke Kontroverse: Soll man, darf man die Leute dort abholen, wo sie politisch stehen? Man kann diese Frage mit Ja beantworten und trotzdem gegen die akzeptierende Pegida-Beachtung plädieren, die Gabriel mit seinem Auftritt betreibt. Die gesellschaftliche Linke sollte die Leute nicht am Sammelplatz von Aufmärschen abholen, auf denen rassistische Parolen skandiert werden – sondern im Alltag, im Kiez, im Betrieb. Und zwar mit überzeugenden politischen Alternativen.

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