»Geweint habe ich nur innerlich«

Hugo Egon Balder über Humor und Ernsthaftigkeit, seine Kindheit und seine Mutter, die Häftling im KZ Theresienstadt war

  • Lesedauer: 6 Min.

Herr Balder, die meisten Zuschauer haben Sie wohl nie so ernst erlebt wie in dem Film »Mit dem Mut der Verzweiflung«, wo Sie von ihrer jüdischen Verwandtschaft im Holocaust erzählen. Ist das eine neue oder nur unbekannte Facette?
Es ist eine unbekanntere, sofern man mich nur aus dem Fernsehen kennt. Wie die meisten Menschen habe auch ich allerdings ein privates und ein öffentliches Gesicht. Und so ernst ich im Alltag sein kann, ist es hier wohl wirklich fast das erste Mal, dass ich beruflich nichts Lustiges mache.

War dies der Grund, warum das ZDF einen Komiker zum Erzähler einer Sendung zum 70. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung macht?
Ich vermute schon. Dass ein lustiger Vogel wie ich so bittere Dinge aus unserer Vergangenheit schildert, fanden die zuständigen Redakteure wohl interessant.

»Mit dem Mut der Verzweiflung«

70 Jahre nach der Befreiung der überlebenden Häftlinge des KZ Auschwitz richtet das ZDF den Blick auf einzelne Schicksale von Opfern jenes Menschheitsverbrechens, das unter der Bezeichnung Holocaust oder Shoah ins kollektive Gedächtnis der Weltgesellschaft eingegangen ist. Der Film »Mit dem Mut der Verzweiflung« (Dienstag, 27. Januar, 22.15 Uhr) schildert das Schicksal von Menschen, die trotz ständiger Todesgefahr in der Hölle der Mordmaschinerie Mut bewiesen, ihre Menschlichkeit bewahrten, sich für andere opferten. Durch die szenische Dokumentation führt Hugo Egon Balder, dessen jüdische Mutter die Lagerhaft überlebte. Der Film rückt das Erleben von Menschen in den Vordergrund, die mit dem Mut der Verzweiflung gegen den scheinbar unausweichlichen Tod ankämpften. Darunter sind Witold Pilecki, ein Offizier der polnischen Untergrundarmee, Fredy Hirsch, ein jüdischer Deutscher aus Aachen und Hoffnungsträger vieler Kinder in Theresienstadt und Auschwitz, Itzhack Birnhack und Rena Ferber, die sich in einem NS-Lager bei Krakau kennenlernten, Hans Frankenthal, der als Siebzehnjähriger Opfer der Judenverfolgung wurde, und Gerda Leyserson, die Mutter von Hugo Egon Balder. nd

 

Und woher wussten die das?
Vermutlich haben sie die Sendung gesehen, bei der ich doch mal richtig ernst war: »Vorfahren gesucht« im WDR, wo ich vor ein paar Jahren mit Rechercheuren auf die Suche nach meiner Verwandtschaft im Holocaust gegangen bin. Dabei habe auch ich vieles erfahren, was mir bis dahin nicht bewusst war. Vor allem über meine Mutter, die ja Theresienstadt überlebt hat.

Bei Ihnen zu Hause war das kein Thema?
Nie! Ich wusste zwar schon als Kind, dass meine Oma, meine Mutter und mein Bruder im KZ saßen, aber darüber hat keiner offen gesprochen, im Gegenteil. Wenn mein Vater über den Krieg erzählt hat, klang das immer wie ein großes Abenteuer.

Die Realitätsblockade der Nachkriegsgesellschaft, nur nicht auf der Seite der Tätergeneration, sondern auf der der Opfer?
Ganz genau. Bis zur WDR-Dokumentation hatte ich zum Beispiel keine Ahnung, dass mein Vater, dessen Schilderung jener Jahre immer so lustig war, zwölfmal in Gestapo-Haft war und mein Bruder siebenmal. Oder unter welchen Umständen es meiner Mutter gelungen ist, die Lagerhaft zu überstehen. Ein Grund dafür war anscheinend, dass sie gelernte Kindergärtnerin war, denn die wurden im Vorzeige-KZ Theresienstadt dringend benötigt, um für die Alliierten den Anschein der Humanität zu erwecken. Und das war nur die Spitze des Eisbergs dessen, was mir zuvor nicht klar war.

Was macht das mit einem Spätgeborenen wie Ihnen?
Genau diese Frage hat sich auch das ZDF gestellt, dem es mit der Sendung eben nicht darum geht, zum fünftausendsten Mal die Schicksale der Nazi-Zeit nachzuerzählen, so wichtig das ist. Wichtiger war in dem Fall darzustellen, wie diese Schicksale und ihre Erzählung das Leben nachgeborener Generationen geprägt haben. Und da fängt man wirklich noch mal ganz neu an, über sich nachzudenken, und erlangt im Idealfall sogar Erkenntnisse, warum man so geworden ist, wie man ist.

Welche sind das in Ihrem Fall?
Ich bin ein sehr pragmatischer, nüchterner Mensch, der wenig nach außen trägt. Was mir von außen gern als Oberflächlichkeit, gar Arroganz ausgelegt wird, habe ich ohne Frage von meiner Mutter, die ihre Vergangenheit auch mit sich selbst ausgemacht hat. Sie hatte halt einen Strich unter ihre Vergangenheit gezogen. Hätte sie sich dagegen von Anfang an geöffnet, wäre ich womöglich ein anderer. Vielleicht hätte ich sogar einen anderen Beruf als den des Komikers.

Waren Ihre Eltern humorbegabt?
Absolut, ich hatte sogar eine heitere Kindheit. Mein Vater hatte neben seinem eigentlichen als Textilhändler rund 25 Berufe bis hin zum Film- und Theaterkritiker. Deshalb kannte er zum Beispiel Leute wie den Schauspieler und Kabarettisten Werner Finck und ging regelmäßig ins »Kabarett der Komiker«, das seinerzeit in Berlin von großer Wichtigkeit war. So was erklärt natürlich einiges über meinen späteren Werdegang, obwohl meine Persönlichkeit eher von meiner Mutter geprägt wurde.

Weshalb Sie unter anderem nie weinen, wie sie einmal erzählt haben?
In der Tat, ich mache das alles mit mir aus.

Haben Sie auch nie geweint, als Sie dem Schicksal ihrer Eltern näher gekommen sind?
Innerlich schon, aber nie äußerlich.

Ist es im Rückblick zum Heulen oder zum Aufbegehren, was Ihrer Familie widerfahren ist?
Zu beidem und doch unbeschreiblich. Ich bin nach Theresienstadt gefahren, um mir ein eigenes Bild davon zu machen. Das holt einen insofern auf den Boden zurück, als man merkt: Bei allem Scheiß, der auch jetzt wieder in aller Welt passiert, geht’s uns doch vergleichsweise gut. Auch das hat mir meine Mutter mit auf den Weg gegeben. Ob nun Liebeskummer oder andere Schwierigkeiten - wann immer ich Probleme hatte, sagte sie mir: Du kannst dir gar nicht vorstellen, was der Mensch alles aushalten kann. Heute ist mir klarer, was sie damit meinte.

Hat sie Ihnen auch auf den Weg gegeben, zu kämpfen, falls sich so etwas je wiederholt?
Nee. Sie hat mir mit auf den Weg gegeben, niemandem zu sagen, dass ich Jude bin.

Sind Sie das denn?
Kein praktizierender, aber meine Mutter ist Jüdin, also bin ich auch einer.

Wenn man den nachdenklichen neben den lustigen Balder stellt: welcher kommt dem echten am nächsten?
Beide gleichermaßen, nur dass der lustige eben öffentlich ist. Ich versuche Überschneidungen weitgehend zu vermeiden.

Bastian Pastewka sagte mal zu seiner gleichnamigen Serie, in der Sie zumindest dem Namen nach sich selbst spielen, da stecke schon viel Hugo Egon drin.
Das stimmt. Die ganze Serie ist jedoch eine große Karikatur. Ein Funken Wahrheit steckt also drin, aber ich bleibe eine Kunstfigur des ernsten Darstellers, der hier lustige Sachen spielt.

Was ist schwerer: ernste Sachen in heiterer Stimmung zu spielen oder heitere in ernster?
(überlegt lange) Trübsinnig gute Laune zu spielen, ist schwerer. Zumal es viel leichter ist, Leute zum Weinen statt zum Lachen zu bringen.

Werden Sie die erste, neue Facette ihres Schaffens denn jetzt öfter mal ausprobieren?
Nee, ich spiele weiter nur Komödien. Auch, weil man anhand der Publikumsreaktion schnell merkt, ob’s funktioniert. Bei einem guten Drama herrscht zunächst Stille, was alles Mögliche bedeuten kann; bei einem guten Witz beginnen die Leute zu lachen, man weiß also, ob er lustig war. Ansonsten hat man einen Fehler gemacht.

Der weh tun kann.
Richtig weh.

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