Schlagen, Schmieren, Schänden
Die Zahl antisemitischer Übergriffe wächst wieder
Grabsteine werden umgeworfen, jüdische Einrichtungen angegriffen, »Shitstorms« im Internet losgetreten, Drohungen ausgestoßen, Passanten bedrängt und sogar angegriffen: Auch in Deutschland hat der Antisemitismus nicht nur eine grausame Geschichte, sondern auch eine bedrückende Gegenwart.
Im vergangenen Jahr gab es eine Kette teils erschreckender Vorfälle. Zum Beispiel im September: Am 25. wurde in Berlin ein 31-jähriger Tourist attackiert, der einen Davidstern trug; der Mann wurde beleidigt und das Schmuckstück abgerissen. Am Tag zuvor waren in Zeitz drei »Stolpersteine«, die an eine deportierte Familie erinnern sollten, gestohlen. Wiederum zwei Tage zuvor war in Berlin in den Lack des Autos einer jüdischen Familie ein Hakenkreuz geritzt worden - eine nicht untypische Serie, die sich durch den Monat zog.
Oder im Juli: Am 17. wurden in Düsseldorf zahlreiche antisemitische Postkarten gezielt an jüdische Familien verschickt. Am 24. wurde ein 18-Jähriger, der eine Kippa trug, in Berlin auf offener Straße geprügelt. Ein Tag später wurde ein Friedhof in Landsberg geschändet - Grabsteine, Mauern und Sitzbänke wurden teils mit Hakenkreuzen beschmiert. Am 29. flogen Brandsätze auf die Synagoge in Wuppertal und am 31. eine Flasche durch das Fenster einer in Frankfurt am Main bekannten Jüdin. Am 7. wurde in Berlin ein Spaziergänger mit Davidstern angegriffen und musste im Krankenhaus behandelt werden. Mehrfach traf es Zeitungsbüros, etwa die »Lausitzer Rundschau«, und Wohnungen oder Büros von Linkspolitikern.
Die Amadeu Antonio Stiftung, die im Internet eine bundesweite, auf Nutzermeldungen basierende Chronik führt, kommt für 2014 auf rund 170 Vorfälle. Tatsächlich dürften es mehr sein; 2013 zählte das Berliner LKA allein in der Hauptstadt 192 Taten - mit steigender Tendenz: 2010 seien es 148 gewesen.
Etliche Vorfälle, die die Amadeu-Stiftung auflistet, gingen im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt auf das Konto migrantischer Jugendlicher; viel wurde zuletzt vom »importierten Antisemitismus« gesprochen. Laut LKA hatten zumindest 2013 aber weiterhin etwa 90 Prozent der Übergriffe einen rechtsradikalen Hintergrund. Zumindest diesen Zahlen zufolge bewegt sich die Zahl etwaig »linksmotivierter« antisemitischer Straftaten in Berlin zwischen 2003 und 2013 im nicht-zählbaren Bereich.
In der Silvesternacht auf 2015 wurde ein 26-jähriger Israeli in einem Berliner U-Bahnhof wohl von einer Gruppe von Südeuropäern angegriffen, die zuvor einschlägige Lieder gegrölt hatten. Laut »Welt« verwahrte sich der junge Mann später auf seiner Facebook-Seite gegen falsche Solidarität: Er wolle »nicht euer Kanal für noch mehr rassistischen Mist gegenüber Arabern sein.« nd
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