Blockupy: SYRIZA-Regierung ist »Chance für uns alle«

Varoufakis: Spardiktat »sehr schlecht für ganz Europa« / Athen kritisiert weiter Russland-Politik der EU / Sozialdemokrat Schulz: Tsipras solle »verbal abrüsten« / Linkenpolitiker kritisieren »arrogante Entrüstung«

  • Lesedauer: 10 Min.

Update 20.30 Uhr: Der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis will bis Ende Mai eine Lösung der finanziellen Situation Griechenlands finden. Bis dahin werde sein Land um keine neuen Kredite bitten, sagte er am Sonntag in Paris. Varoufakis hatte sich dort mit seinem französischen Kollegen Michel Sapin getroffen. Varoufakis will am Montag nach London und am Dienstag nach Rom reisen. Nach Berlin und Frankfurt wolle er so bald möglich, sagte der Linkspolitiker.

Update 18.15 Uhr: Das antikapitalistische Blockupy-Bündnis sieht angesichts der neuen Regierung in Griechenland einen »Raum für eine neue Qualität der politischen Auseinandersetzung um das Krisenregime und den Neoliberalismus« eröffnet. Solange SYRIZA die »Kämpfe in die europäischen Institutionen trägt, anstatt die Zwänge der Austerität an die eigene Bevölkerung weiterzugeben, ist sie eine Chance für uns alle«, heißt es in einer Erklärung des Koordinierungskreises. Dies könne »einen Dominoeffekt in Gang setzen, in Spanien, Italien und anderswo. Die Öffnung solch eines politischen Korridors ist das, was jetzt alle von SYRIZA erwarten – und woran sich SYRIZA in Zukunft zu messen haben wird«. Die griechische Bevölkerung habe »nicht akzeptiert, was als alternativlos gilt. Sie hat ihre eigene Krise – die Krise des Alltags, der Gesundheitsversorgung, der Flüchtlinge und Migranten, der Beschäftigten und Erwerbslosen, der Schulen und Familien – dorthin zurück gebracht, wo sie hergekommen ist: in das deutsche Europa der Troika, der Spardiktate und der Ausgrenzung«, so Blockupy. Man habe »keine falschen Hoffnungen«, heißt es weiter, »Den Krisenkapitalismus kann man nicht einfach abwählen.« Der Situation, die nun in Griechenland entstanden sei, könnte man sich auch »nicht mit dem Verweis auf ANEL und die Regierungskoalition entziehen«. SYRIZA müsse sich nicht nur daran messen lassen, wie sie mit den Auflagen der Spar-Troika umgehe, »sondern gleichermaßen an ihrem Verhältnis zu den Fragen der linken Bewegungen. Sozial geht nicht national, nicht patriarchal, nicht homophob, nicht antisemitisch, nicht rassistisch«, so das Blockupy-Bündnis.

Update 17.45 Uhr: Vor seinem Treffen mit seinem neuen griechischen Kollegen Giannis Varoufakis hat sich Frankreichs Finanzminister Michel Sapin gegen einen Schuldenschnitt für das Land ausgesprochen. »Wir können debattieren, etwas aufschieben oder erleichtern, aber wir werden nichts streichen«, sagte Sapin am Sonntag im Fernsehsender Canal+. Dass die neue Regierung in Athen über die Lage diskutieren wolle, bezeichnete er als »legitim«. Varoufakis, vehementer Verfechter eines Schuldenerlasses sowie Kritiker des bisherigen Spar- und Reformkurses, war am Sonntag nach Paris gereist, um Sapin und Wirtschaftsminister Emmanuel Macron zu treffen. Dem Sonntagsmagazin »To Vima« sagte Varoufakis, der Griechenland von der Troika auferlegte Sparkurs sei »sehr schlecht für ganz Europa«. Es gehe nicht um eine »griechische Krise«. Auch in Frankreich, Italien und sogar in Deutschland verschlechtere sich die wirtschaftliche Lage. Die Staatsschulden Griechenlands belaufen sich auf rund 315 Milliarden Euro. Dies entspricht etwa 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Bis Dienstag will er zudem Antrittsbesuche in Großbritannien und Italien absolvieren. Reisen nach Berlin planen Varoufakis und Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras offiziell bisher nicht.

Update 15.30 Uhr: Die neue griechische Regierung hat ihre Kritik an der Russland-Politik der Europäischen Union bekräftigt. Die EU müsse »endlich überlegen, wie sie auf langfristiger Basis mit Russland umgehen will«, anstatt stets auf »moralisch korrekte, aber krampfhafte Weise« zu reagieren, sagte Außenminister Nikos Kotzias am Sonntag der Nachrichtenagentur ANA. Erneut bot Kotzias an, in der EU darauf hinzuwirken, das durch die Ukraine-Krise belastete Verhältnis zu Moskau zu verbessern. Seine EU-Kollegen warnte der griechische Außenminister vor einer Ausgrenzung Athens. Beim jüngsten Außenministerrat in Brüssel sei deutlich geworden, dass sich Griechenland nicht als »Pariastaat« behandeln lasse, »nur weil es Geld schuldet«, sagte er.

Update 13.55 Uhr: Die meisten Deutschen wollen einer Umfrage zufolge Griechenland im Euro-Raum halten, lehnen aber einen weiteren Schuldenschnitt ab. Auch nach dem Regierungswechsel im Athen sprechen sich 62 Prozent gegen einen Austritt Griechenlands aus der Gemeinschaftswährung aus. Das ergab eine Emnid-Umfrage im Auftrag der »Bild am Sonntag«. Für eine Rückkehr des hoch verschuldeten Landes zur Drachme sind nur 26 Prozent. Den von Athen geforderten zweiten Schuldenschnitt lehnen 68 Prozent der Deutschen - ebenso wie die Bundesregierung - ab, 21 Prozent plädieren für den Erlass von Schulden.

Update 12.30 Uhr: Der neue griechische Premier Alexis Tsipras sucht das Gespräch mit der Europäischen Union. Am Samstag rief Tsipras EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker an, wie am Sonntag aus Junckers Umfeld verlautete. Das Telefonat sei freundschaftlich verlaufen. Tsipras telefonierte auch mit Mario Draghi, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, hieß es in Athener Regierungskreisen. Ein Treffen zwischen Tsipras und Juncker sei demnach für Mittwoch (4.2.) geplant. An dem Tag kommt der Chef der neuen Regierung auch mit dem französischen Präsidenten François Hollande zusammen. Juncker hat nach Angaben aus EU-Kreisen Verständnis für Tspiras sozialpolitische Initiativen. Zur von Tsipras abgelehnten Geldgeber-»Troika« sagte Juncker in der vergangenen Woche im Gespräch mit der französischen Zeitung »Le Figaro«, eine rasche Rückkehr der Troika in das Land könne von der griechischen Öffentlichkeit als »Provokation« empfunden werden. Ein Schuldenschnitt komme aber nicht infrage. Im Umgang mit der neuen griechischen Regierung stimmt sich der Chef der EU-Kommission mit europäischen Politikern ab. Dazu gehören EU-Kreisen zufolge Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU), Italiens Regierungschef Matteo Renzi sowie Hollande.

Update 11.35 Uhr: Athen hat zur Vorbereitung eines weiteren Schuldenschnitts eine Investmentbank als Berater engagiert. Dabei handelt es sich um das in Frankreich ansässige Finanzberatungsinstitut Lazard, teilte das Büro des griechischen Finanzministers Gianis Varoufakis mit. Es ist die gleiche Bank, die Griechenland beim ersten Schuldenschnitt für private Gläubiger 2012 beraten hatte, hieß es aus Kreisen des Ministeriums am Sonntag. Damals wurden Griechenlands Schulden um mehr als 100 Milliarden Euro reduziert. Der größte Teil des griechischen Schuldenberges - rund 200 Milliarden Euro - ist nun in den Händen öffentlicher Gläubiger, die einen Schuldennachlass gegenüber den übrigen Steuerzahlern in der Eurozone rechtfertigen müssten. Die neue Regierung in Athen strebt dennoch einen weiteren Schuldenschnitt an, um langfristig mehr finanziellen Spielraum für das Land zu schaffen. Brüssel lehnt dies jedoch bisher ab.

Update 10.10 Uhr: Der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hat erklärt, es sei niemals die Absicht seiner Regierung gewesen, »einseitig auf Griechenlands Schulden zu reagieren«. In einer zunächst an die US-Nachrichtenagentur Bloomberg gerichteten Erklärung, die dann auch an andere Medien verbreitet wurde, sagte Tsipras gleichzeitig, die SYRIZA-Koalition brauche mehr Zeit für ihre Reformprogramm. Er fühle sich dem Mandat der griechischen Bevölkerung verpflichtet, die bisherige Sparpolitik durch eine Wachstumspolitik zu ersetzen, erklärte Tsipras. Dies habe jedoch »keineswegs zur Folge, dass wir unseren Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Zentralbank oder dem Internationalen Währungsfonds nicht nachkommen werden«. Vielmehr bedeute es, »dass wir Zeit zum Luftholen brauchen, um unser eigenes mittelfristiges Programm zur Erholung« von Wirtschaft und Finanzen aufzustellen. Dazu zählten unter anderem radikale Maßnahmen gegen Steuerflucht, Korruption, Klientelpolitik sowie für einen ausgeglichenen Haushalt.

Tsipras äußerte sich zudem zuversichtlich, andere europäische Regierungen für seine Anti-Austeritäts-Politik gewinnen zu können. Die Beratungen hätten gerade erst begonnen, doch sei er »überzeugt, dass wir bald eine für alle Seiten förderliche Übereinkunft finden werden«, von der nicht nur Griechenland profitiere, sondern »Europa als Ganzes«. Ähnlich hatte sich bereits Finanzminister Giannis Varoufakis geäußert: »Alles, was wir von unseren Partnern verlangen, sind einige Wochen Zeit, um sinnvolle und vernünftige Vorschläge zu erarbeiten«. Varoufakis und Tsipras reisen in den nächsten Tagen nach Frankreich, Zypern, Italien, um für ihre Politik zu werben. Ein Stopp in Berlin ist nicht vorgesehen.

Berlin und Brüssel kritisieren »Angriffe aus Athen«

Berlin. In den politischen Auseinandersetzungen um den Kurs in der europäischen Krisenpolitik setzen Politiker aus Deutschland nun offenbar auf Stilkritik in Richtung Athen. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz riet der neuen griechischen Regierung, »Angriffe auf Angela Merkel zu beenden«. Schließlich sei »es unter anderem die Bundesregierung, die ihm wird helfen müssen«, sagte der Sozialdemokrat. Er habe Ministerpräsident Alexis Tsipras»nachdrücklich ans Herz gelegt, verbal abzurüsten«, sagte er der »Welt am Sonntag«. Es möge bei manchen vielleicht gut ankommen, »auf die Deutschen einzuprügeln – aber es ist auch kurzsichtig und bringt uns nicht weiter.«

SYRIZA stoppt Kooperation mit der Troika
Athen: Führung der Privatisierungsbehörde entlassen / Zentralrat der Juden in Griechenland:»Wir vertrauen SYRIZA« / Finanzminister Varoufakis zieht Besuch in Paris vor - der Samstag im Newsblog zum Nachlesen

Auch EU-Kommissar Günter Oettinger (CDU) hatte der griechischen Regierung ein »freches und unverschämtes Auftreten« vorgeworfen und auf die Fortsetzung des bisherigen Kurses gepocht. »Athen muss seine Verpflichtungen gegenüber Europa erfüllen. Es kann nicht sein, dass eine Regierung von Brüssel besser behandelt wird, weil sie frech und unverschämt auftritt. Wir dürfen Athen deshalb jetzt nicht abstrafen, aber es hat keine Verbesserung zu erwarten«, sagte Oettinger am Samstag bei einer CDU-Klausur in Hessen. Die Brüskierung der EU-Institutionen sei »ein bisher einmaliger Vorgang in der Geschichte der EU. Wer solch einen Ton anschlage und neue Feindbilder aufbaue wie die Regierung von Alexis Tsipras, der schüre Hass und Verzweiflung«, behauptete Oettinger.

Der stellvertretende Vorsitzende Ralf Stegner sieht die Lage offenbar anders. Der Sozialdemokrat warnte am Samstag vor einer Diffamierung der neuen Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras: »Meiner Meinung nach ist Respekt vor dem demokratischen Wahlergebnis und Gelassenheit gegenüber der neuen griechischen Regierung angebracht, auch wenn einem gerade der rechtspopulistische Teil der Regierung wirklich nicht gefallen kann.« Vor allem Politiker der Union und deutsche Medien hatten sich kritisch bis abfällig über die neue griechische Regierung geäußert; außerdem wurde in teils arrogantem Stile verlangt, das SYRIZA-Kabinett solle sich weiterhin den Vorgaben aus Brüssel und Berlin unterordnen.

Die Vorsitzende der Linksfraktion im Europaparlament, Gabi Zimmer, verteidigte das Vorgehen von SYRIZA. »Wegen der humanitären Krise stehen Menschenleben auf dem Spiel. Ein Kartell von Konservativen und Sozialdemokraten in Griechenland hat bisher jegliche soziale Entlastung verhindert«, sagte sie der »Mitteldeutschen Zeitung«. Mit Blick auf die maßregelnden Äußerungen aus Berlin und Brüssel sagte Zimmer: »Statt arroganter Entrüstung sollten sich deutsche Politiker und Medien eher fragen, welche Anteile Merkels harscher Sparkurs am Zustandekommen dieser Koalition hat«.

Linksfraktionschef Gregor Gysi sprach davon, dass das Beispiel der neuen Regierung Schule machen werde. Der Linkenpolitiker sagte der Nachrichtenagentur dpa, auch andere finanzschwache Länder würden nun auf Distanz zu Angela Merkel und die maßgeblich von der deutschen Bundeskanzlerin angetriebenen Spardiktate gehen. »Die Troika-Politik der Europäischen Union ist gescheitert. Und damit ist Merkel hier gescheitert, denn es ist ihre Politik«, sagte Gysi.

Derweil hat die Kanzlerin der neuen griechischen Regierung Unterstützung zugesagt - unter Bedingungen. »Wir, also in Deutschland und die anderen europäischen Partner, warten jetzt erst einmal ab, mit welchem Konzept die neue griechische Regierung auf uns zukommen wird«, sagte Merkel dem »Hamburger Abendblatt«. Wenn Reformanstrengungen unternommen würden, werde es »auch weiterhin Solidarität für Griechenland« geben, sagte die wegen des harten Sparkurses bei vielen Griechen unbeliebte Bundeskanzlerin und betonte: »Ich freue mich darauf, die Freundschaft unserer beiden Völker weiter stärken zu können.«

Am Freitag hatte die SYRIZA-Regierung in Athen den Bruch mit der Troika angekündigt. Man werde künftig nicht mehr mit den Kontrolleuren zusammenarbeiten, sagte Finanzminister Gianis Varoufakis nach einem Treffen mit Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem. Der soll im Rausgehen nach einer Pressekonferenz »You just killed the Troika« zum griechischen Finanzminister geflüstert haben, worauf dieser lediglich mit dem Wort »Wow« reagierte. Varoufakis hatte die Troika zuvor ein »faules Gremium« genannt, Dijsselbloem auf den Sparauflagen bestanden haben. Griechenland bekommt derzeit noch Hilfskredite der Euroretter und ist nach Einschätzung von Experten auch künftig auf Unterstützung in Milliardenhöhe angewiesen. Die Stimmung war sichtlich gespannt.

Die neue Regierung in Athen hatte zudem die Führung der griechischen Privatisierungsbehörde (TAIPED-HRADF) entlassen. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Kreisen des Finanzministeriums erfuhr, sei dies »ein erster Schritt für die neue Privatisierungspolitik« der Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras. Nach dem Stopp der Privatisierungen sind Pläne für den Verkauf von Teilen der Elektrizitätsgesellschaft DEI, der Verpachtung von Teilen der Häfen von Piräus und Thessaloniki, der Privatisierungen der griechischen Eisenbahnen sowie staatlicher Raffinerien auf Eis gelegt. Unklar blieb auch, ob die vom deutschen Betreiber Fraport Ende 2014 vereinbarte Übernahme von mehreren Regionalflughäfen Griechenlands stattfinden wird. Agenturen/nd

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