Völkermordklagen werden zurückgewiesen
Internationaler Gerichtshof spricht Serbien und Kroatien frei
Belgrad. Die Urteilsverlesung dauerte nur knapp zwei Stunden. Am Dienstag tagte der Internationale Gerichtshof (IGH) im Friedenspalast von Den Haag. Nach 16 Jahren stand nach dessen Verkündigung fest, was die Rechtsexperten der beteiligten Staaten schon lange ahnten: Sowohl die Völkermordklage Kroatiens gegen Serbien als auch Belgrads Gegengenozidklage gegen Zagreb wurden vom IGH komplett zurück gewiesen.
Ergebnis war erwartet worden
Beide Nachbarstaaten hatten sich gegenseitig vorgeworfen, im Kroatienkrieg (1991 bis 1995) gegen die Völkermordkonvention verstoßen zu haben. Während Zagreb mit der schon 1999 eingereichten, aber erst 2008 vom IGH angenommenen Klage auch Reparationszahlungen erzwingen wollte, versprach sich Belgrad von seiner 2009 eingereichten Gegenklage vor allem eine Stärkung der eigenen Position. Laut dem Vorsitzenden Richter Peter Tomka war es keiner Seite gelungen, nachzuweisen, dass der jeweilige Kriegsgegner die gänzliche oder teilweise »Vernichtung« des anderen Volks zum Ziel gehabt habe.
Das ergebnislose Ende der juristischen Verlängerung des Kroatienkriegs war abzusehen. Denn im Gegensatz zum Kriegsverbrechertribunal der Vereinten Nationen (UN) beschäftigt sich der IGH nicht mit von Individuen begangenen Straftaten, sondern mit Rechtskonflikten zwischen Staaten. Seit dem Zweiten Weltkrieg hatte der IGH noch nie einen Staat wegen Völkermord verurteilt. Zudem hatte der Gerichtshof schon beim Scheitern der bosnischen Genozidklage 2007 gegen Serbien deutlich gemacht, sich auf die Ermittlungsergebnisse des UN-Kriegsverbrechertribunals zu stützen. Im Gegensatz zu in Bosnien begangenen Kriegsverbrechen hatte das Tribunal aber für im Kroatienkrieg begangene Untaten nie einen mutmaßlichen Täter des Völkermords angeklagt – oder gar verurteilt.
Serbien sieht ermutigenden Schritt
Vor allem aus innenpolitischen Gründen hatten beide Staaten von dem mehrmals angedachten Rückzug ihrer chancenlosen Klagen und der Einstellung ihrer kostspieligen IGH-Feldzüge abgesehen. »Wir sind nicht zufrieden«, kommentierte am Dienstag Kroatiens scheidender Präsident Ivo Josipovic das vor allem für den Adriastaat sehr ernüchternde Urteil: »Aber mit der Einreichung der Klage haben wir auch unsere Schuld gegenüber den Opfern abgearbeitet.«
Obwohl die Gegenklage Serbiens abgelehnt worden sei, habe der Gerichtshof bestätigt, dass kroatische Truppen bei der Operation Sturm zur Befreiung der besetzen Krajina »massive Verbrechen« an den Serben begangenen hätten, freute sich hingegen unverhohlen sein Amtskollege Tomislav Nikolic über das Urteil: Dies sei ein »ermutigender Schritt«.
Konflikt wird weiter geführt
Nur die trostlose Wirtschaftslage scheint die Nachbarn zu einen. Zwar hat das IGH-Urteil endlich einen Punkt hinter deren Justizfeldzug gesetzt. Zur Aussöhnung der beiden sich am heftigsten beharkenden Balkanstreithähne dürfte der Richterspruch jedoch kaum beitragen. Im Gegenteil: In Kroatiens Wahljahr ist eine weitere Verschlechterung der restlos erkalteten Nachbarschaftsehe der früheren Kriegsgegner zu erwarten. Eine »Verschärfung« der Beziehungen sei »unvermeidlich«, prophezeite am Dienstag die serbische Zeitung »Blic«.
Nicht nur die von ihren Anhängern frenetisch gefeierte Freilassung von nationalistischen Kriegsheroen wie dem serbischen Radikalenchef Vojislav Seselj oder dem Kroaten Branimir Glavas haben die Beziehungen zuletzt gehörig belastet. Auch die patriotisch-pampigen Ausfälle von Kroatiens künftiger Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic und die trotzige Ankündigung von Nikolic, der Amtseinführung seiner künftigen Kollegin fern zu bleiben, tragen wenig zur Verbesserung der schlechten Stimmung auf beiden Seiten der Grenze bei.
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