Türkei: Wütende Proteste nach Mord an Özgecan Aslan
Studentin nach versuchter Vergewaltigung brutal umgebracht / Frauenbewegung in der Türkei: »Wir trauern nicht, wir rebellieren« / Landesweit gehen Menschen auf die Straße
Berlin. Der brutale Mord an der jungen Studentin Özgecan Aslan hat in der Türkei wütende Proteste ausgelöst. Landesweit gingen zahlreiche Menschen auf die Straße, auf dem Taksim-Platz in Istanbul versammelten sich hunderte Frauen, und forderten unter anderem den Rücktritt von Familienministerin Aysenur Islam.
Am Freitag war die Leiche der 20-jährigen in einem Flussbett im Süden der Türkei gefunden worden. Zuvor war sie auf dem Weg nach Hause in einen Kleinbus gestiegen, wo der der Busfahrer versuchte, die junge Frau zu vergewaltigen, als alle anderen Fahrgäste ausgestiegen waren. Aslan wehrte sich, unter anderem mit Pfefferspray - und wurde erstochen.
Insbesondere das brutale Vorgehen der Täter rief große Abscheu hervor. Die Frau wurde Berichten zufolge mit zahlreichen Messerstichen getötet. Danach halfen der Vater und ein Freund des Busfahrers offenbar dabei, die Leiche bis zur Unkenntlichkeit zu verbrennen. Die drei Männer wurden inzwischen festgenommen und sollen die Tat gestanden haben.
Fotos der Täter aus dem Internet legen nahe, dass die Männer aus dem Umfeld der faschistischen »Grauen Wölfe« stammen. Möglicherweise war Aslan als alevitische Kurdin auch kein Zufallsopfer, sondern wurde gezielt ausgesucht.
Die türkische Frauenbewegung hatte umgehend zu Protesten in vielen Städten des Landes aufgerufen. Tausende Menschen haben bereits ihrer Bestürzung und ihrer Wut Ausdruck verliehen - und noch immer dauern die Proteste an. »Wir trauern nicht, wir rebellieren«, hieß es unter anderem bei den Kundgebungen. Es reiche nicht aus, das Opfer Özgecan Aslan zu beweinen.
Die Frauenbewegung in der Türkei opponiert laut und sichtbar gegen sexistische Gewalt - gegenüber früheren Jahrzehnten, in denen solchen Taten geschehen konnte, ohne dass Tausende Menschen auf die Straße gehen.
Doch um Taten wie den brutalen Mord an der Studentin zu verhindern, bedürfe es nicht weniger als einer grundsätzlichen politischen Veränderung in der Türkei, heißt es. Diese wird unter einer AKP-Regierung jedoch nicht stattfinden. Somit steht die Frauenbewegung – wie fast alle oppositionellen Bewegungen – auch in direkter Konfrontation mit der Regierung. Aus »einfachen« Forderungen wie der nach einem besseren Schutz für Frauenhäuser kann schnell ein grundsätzlicher Konflikt mit der AKP erwachsen.
Derzeit gibt es einige Anzeichen, dass die Opposition aus dem Niedergang der Protestbewegung, die aus dem Gezi-Park hervorging, gelernt hat und sich nicht mehr so leicht auseinanderdividieren lässt. Bisher war die AKP-Regierung recht erfolgreich mit der Strategie, durch einzelne, kleine Zugeständnisse und entsprechende Rhetorik Teile der Opposition einzubinden – um andere Bewegungen umso repressiver niederzuschlagen.
Die Tat ereignete sich in einem gesellschaftlichen Umfeld, dass von einer zunehmend autoritären und reaktionären Politik der AKP-Regierung dominiert wird. Frauenrechte geraten immer stärker unter Druck, vor allem die AKP macht immer offener gegen Frauenemanzipation Front. Frauenrechtlerinnen haben zuletzt mehrfach auf die in den Jahren der AKP-Regierung massiv gestiegene Zahl von ermordeten und vergewaltigten Frauen hingewiesen.
Kritik wird unter anderem daran laut, dass sich die Täter durch sexistische Stimmungsmache gegen Frauen in den Medien bestätigt fühlen können. Die Äußerungen von AKP-Führungsmitgliedern tragen ebenfalls dazu bei, indem sie etwa der Gleichwertigkeit von Männern und Frauen widersprechen oder den Frauen öffenltich nahelegen, sich möglichst nur um Familie und Heim zu kümmern.
Ein weiteres Problem ist, dass auch dort, wo Frauenrechte auf dem Papier noch bestehen, diese vielfach gebrochen und unterminiert werden. Nach dem geltenden Rechte dürfen Frauen in der Türkei bis zur 10. Schwangerschaftswoche abtreiben – auch ohne Vorliegen einer medizinischen Notwendigkeit. Die Frauenselbsthilfeorganisation Mor Çatı hat allerdings in einer Untersuchung ermittelt, dass fast alle staatlichen Krankenhäuser eine Abtreibung verweigern. Zurückgeführt wird dies darauf, dass Erdoğan und zahlreiche anderen führende Politiker der Landes Abtreibung immer wieder mit Mord und »Kriegsverbrechen« gleichgesetzt haben.
Der Autor ist Politikwissenschaftler und twittert unter @ismail_kupeli
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