An einem unendlichen Strang

Das Hettstedter Unternehmen MKM entwickelte sich seit 1990 zum Kupferverarbeiter von Weltrang - nicht wegen, sondern trotz der Treuhand

  • Hendrik Lasch, Hettstedt
  • Lesedauer: 3 Min.
In Hettstedt wird seit 100 Jahren Kupfer verarbeitet. Auch die Wende überstand das Werk - weil man sich der Treuhand widersetzte.

Es läuft und läuft und läuft: Das Band aus Kupfer, 1,25 Meter breit und dunkel glühend, wird ohne Unterlass aus der Anlage am Ende des Schmelzofens hervorgepresst. 1996 wurde das Verfahren zur kontinuierlichen Produktion entwickelt; angewendet wird es allein in den Werkhallen der Mansfelder Kupfer und Messing GmbH (MKM): »Das ist«, sagt deren Fertigungsleiter Thomas Kutz, »weltweit einzigartig.«

Der kupferne Endlos-Strang ist gewissermaßen ein Symbol für den Betrieb am Rand von Hettstedt. Seit über 100 Jahren wird hier Kupfer verarbeitet, das zunächst in den Schächten des umliegenden Mansfelder Reviers gefördert wurde. Ein Walzwerk, das zwei Tonnen wiegende Kupferquader zu drei Meter breiten Blechen formt, ist seit 1910 in Betrieb. Die Bleche und Platten sind weltweit gefragt: Sie stecken in Autos und U-Booten, in Chemieanlagen und Atomkraftwerken. Die Platte mit den eingravierten Namen der Opfer des Anschlags auf das World Trade Center in New York ist ebenso aus Buntmetall von MKM wie die Tore einer neuen Riesen-Moschee in Mekka. Ein Vorzeigebetrieb, lobte Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff (CDU) diese Woche: »Die Menschen hier können stolz und selbstbewusst sein.«

Wie selbstbewusst sie sind, erfährt man im Gespräch mit Hubertus Luthardt. Der gelernte Schlosser und bis vor acht Jahren Betriebsratschef von MKM erklärt, welche Rolle die Treuhand in der Geschichte des Werkes spielte. Unter deren Fittichen war das Vorgängerunternehmen von MKM gelandet, die Mansfeld AG, die mit dem Ende der DDR aus dem Mansfeldkombinat »Wilhelm Pieck« hervorgegangen war - das Konglomerat an Betrieben umfasste Schächte, Hütten und Walzwerke ebenso wie ein Ferienheim an der Ostsee und zählte im Dezember 1989 rund 42 000 Mitarbeiter. Allein in Hettstedt verdienten 8100 Menschen ihr Geld mit der Herstellung von Rohren, Drähten, Stangen und Blechen - und ein wenig auch mit dem legendären Hettstedter Schnellkochtopf.

An einem so breiten Produktionsspektrum hatte die Treuhand kein Interesse. Fraglich ist, welches Interesse sie überhaupt daran hatte, dass der Strang in Hettstedt nicht abriss. Luthardt erinnert an Konzepte, die in Abstimmung mit der Treuhand von anderen deutschen Unternehmen der Branche erstellt wurden - und die mit ganzen 540 Beschäftigten kalkulierten. Es sei nur um schnellstmögliche Filetierung und Privatisierung gegangen, ohne Rücksicht auf Jobs und unternehmerische Zukunft. »Die Treuhand«, sagt Luthardt, »war der Handlanger unserer Konkurrenten.«

Im Mansfeld hatte man die Rechnung freilich ohne die Beschäftigten gemacht. Luthardt erinnert sich an eine Demonstration mit 10 000 Leuten auf dem Hettstedter Markt; an zahllose Reisen in die Berliner Treuhandzentrale; an harte Verhandlungen und teils trickreiche Gespräche der Belegschaftsvertreter mit Politikern, die man nach Hettstedt einlud. »Wir haben riesengroßen Spuk gemacht«, sagt er. Mancher Politiker mag eine Wiederholung der legendären Märzkämpfe befürchtet haben, die 1921 das rote Mansfeld erschütterten.

Im Fall der Kupfersparte des ehemaligen Kombinats hat sich der Widerstand augenscheinlich gelohnt. Dabei half, dass sich ein von der Treuhand als »knallharter Sanierer« avisierter Manager in Einklang mit der Belegschaft der Strategie der Filetierung widersetzte. Der Betrieb überstand das Regime der Treuhand. Als die in die »Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben« übergegangen war, wurde er erstmals auch internationalen Interessenten angeboten. 1995 wurde er an die belgische Lamitref-Gruppe verkauft. Von da an gelangte MKM trotz weiterer Wechsel zu einem kasachischen Eigentümer und zu einer britischen Investorengruppe in ruhigere Fahrwasser - im Gegensatz zur Aluminiumsparte des früheren Kombinats: Das daraus hervorgegangene Unternehmen Aluhett sorgte bis Anfang der 2000er Jahre mit Insolvenzen, Betriebsbesetzungen und Fördermittelskandalen für Schlagzeilen.

Immerhin: Auch bei Aluhett scheinen die ärgsten Zeiten überstanden; der Betrieb beschäftigt nun rund 120 Menschen. MKM hat 1100 Mitarbeiter, darunter 56 Lehrlinge. Man wolle »weltweit die starke Nummer 2« werden, hieß es bei Haseloffs Visite. Schmelzofen, Walzen und Pressen, sie laufen und laufen und laufen. Der Betrieb ist gesichert - allerdings, wie Ex-Betriebsrat Luthardt betont, »nicht wegen, sondern trotz der Treuhand«.

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