Terrorwarnung lässt Bremer kalt

Behörden warnen vor islamistischem Anschlag - Hansestädter reagieren wohl zu Recht gelassen

  • Reimar Paul, Bremen
  • Lesedauer: 4 Min.
Großeinsatz in Bremen: Eine radikalisierte Salafisten-Szene und ein möglicher Waffenkauf lösen Terroralarm aus.

Das Café »Ambiente« am Bremer Osterdeich mit seinem prächtigen Blick auf die Weser ist am Sonntagvormittag wie immer um diese Zeit bis auf den letzten Platz besetzt. Neben Bewohnern des nahen Steintorviertels, die hier gern ihr zweites Frühstück einnehmen, sind auch die ersten Fußballfans eingetroffen. Sie sind etwas in Sorge - noch ist nicht sicher, dass das für den frühen Abend angesetzte Bundesligaspiel von Werder Bremen gegen den VfL Wolfsburg im nahe gelegenen Stadion ausgetragen werden kann. »Das wäre ein Jammer«, sagt ein beleibter Fan, der seinen voluminösen Körper in ein grün-weißes Trikot mit dem Namen des in Bremen unvergessenen brasilianischen Kickers Diego gezwängt und bereits das dritte Bier bestellt hat. »Es wäre ein Jammer, wenn das Spiel wegen der Terrorwarnung ausfällt, wo Werder doch gerade so einen sensationellen Lauf hat.«

Die Warnung vor einem möglichen Anschlag hält die Polizei in der Hansestadt seit Freitagabend in Atem. Nach Hinweisen einer nicht näher genannten Bundesbehörde hatte die Polizei erstmals am Samstagmorgen um 9.09 Uhr in einer dürren Zwei-Absatz-Meldung über mögliche »Aktivitäten islamistischer Gefährder für die Stadtgemeinde Bremen« berichtet. »Zur Abwehr dieser Gefahr« würden »u.a. Schutzmaßnahmen im öffentlichen Raum« ergriffen.

Der öffentliche Raum umfasste zunächst vor allem die historische Innenstadt. Vor dem Rathaus und rund um den St. Petri-Dom fuhren Mannschaftswagen auf, Beamte mit Maschinenpistolen patrouillierten über den Marktplatz. Auch vor dem Hauptbahnhof und vor der Synagoge im Stadtteil Schwachhausen standen am Samstag Polizisten. Die Jüdische Gemeinde der Stadt war von der Kripo bereits am frühen Morgen über die Terrorwarnung informiert worden. »Die Leute waren etwas überrascht, weil mit solchen Drohsituationen nicht zu rechnen ist«, sagte Grigori Pantijelew von der Gemeinde. Den Gottesdienst am Samstag und die Unterrichtsstunden danach habe die Jüdische Gemeinde aber trotz der Bedrohung abgehalten.

Gewalt gibt es auch im Szeneviertel »Steintor« nur im Kino. In der »Schauburg« läuft »Als wir träumten«, die Verfilmung von Clemens Meyers gleichnamigem Roman. Alle Vorstellungen sind gut besucht. Niemand habe vorab bestellte Karten wegen der Terrorwarnung zurückgegeben, sagt der Mann an der Kasse.

Dasselbe Bild im »Cinema«, ein paar hundert Meter weiter. »Die Vorstellungen am Samstagabend waren rappelvoll«, erzählt Theken-Frau Katarina von der über dem Kino gelegenen »Heldenbar«. Auch die Kneipe sei bestens besucht gewesen. »Gutes Trinkgeld, gute Gespräche, die möglichen Anschläge waren kein großes Thema, soweit ich das mitbekommen habe.«

Noch am Samstag nahm die Polizei nahm zwei Männer vorläufig fest. Die beiden waren nach einigen Stunden aber wieder auf freiem Fuß. Zudem wurden mehrere Menschen in Gewahrsam genommen und Fahrzeuge sowie Wohnungen durchsucht. In der Nacht zu Sonntag durchkämmten Beamte das Islamische Kulturzentrum (IKZ) in der Nähe des Hauptbahnhofs. Das Gebäude stand schon seit Monaten unter Beobachtung des Bremer Verfassungsschutzes. Während der mehrstündigen Razzia wurden Straßenbahnen umgeleitet.

Gestern Nachmittag informierten Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) und Bremens Polizeichef Lutz Müller über die Hintergründe des Großeinsatzes. Demnach hat sich ein Teil der Salafisten-Szene der Stadt mit dem Syrien-Konflikt radikalisiert. 19 Erwachsene und 11 Kinder seien aus Bremen in das arabische Land gereist und befänden sich zum Teil dort im Krieg. Zudem laufe seit Anfang dieses Jahres ein Ermittlungsverfahren gegen einen libanesischen Staatsangehörigen wegen Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz - Personen aus der Salafisten-Szene hätten versucht, an Waffen zu gelangen, ein möglicher illegaler Waffenkauf habe in Bremen abgewickelt werden sollen.

Als am Freitag Erkenntnisse der Bundesbehörde eintrafen, seien »alle Lampen auf Rot gegangen«, sagte Mäurer. »Ein Anschlag in Bremen war nicht mehr auszuschließen«. Polizeichef Müller räumte ein, dass bei den Durchsuchungen keine Waffen gefunden wurden. Die konkrete Gefährdungssituation habe sich »relativiert - das heißt nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen.« Der Einsatz werde zurückgefahren, laufe aber weiter.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.