Katz-und-Maus-Spiel mit der Wahlkommission
Der Gegenwind zur Politik des Likud-Chefs kommt nicht allein von links, sondern auch von Geheimdiensten und Militärs
Der Blick: ein bisschen besorgt. Das Auftreten: wohl zurückhaltend. Die Worte, die Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu am Sonntag auf dem Rollfeld des Flughafens Ben Gurion sprach: »Unbeschreiblich arrogant«, urteilt ein Kommentator des Armeeradios.
»Ich reise nach Washington in einer schicksalhaften, sogar historischen Mission«, hatte Netanjahu auf der Pressekonferenz kurz vor seiner Abreise gesagt, und: »Ich sehe mich als Gesandter des gesamten israelischen Volkes, auch derjenigen, die nicht mit mir übereinstimmen, des gesamten jüdischen Volkes. Ich bin zutiefst besorgt über die Sicherheit aller israelischen Bürger.«
Kaum waren der Premier samt Gattin Sara und seine Entourage in die Maschine der Staatsgesellschaft El Al gestiegen, begannen die Umfrageinstitute, damit den Wählern den Puls zu fühlen: Glauben sie ihm? Lassen sich die starken Worte in Parlamentssitze umrechnen? Die Antwort ist: Nein. Netanjahus Likud-Block dümpelt immer noch bei mal mehr, mal weniger als 25 von 120 Sitzen herum und liegt damit gleichauf mit der Zionistischen Union, einem Bündnis aus der Arbeiterpartei und der zentristischen Bewegung HaTnuah. Damit ist selbst der sonst übliche Kurzzeiteffekt ausgeblieben.
Und es ist nicht damit zu rechnen, dass dies nach seiner Rede am heutigen Dienstag anders ist. Denn die wird auf Anordnung der Zentralen Wahlkommission mit einer fünfminütigen Verzögerung ausgestrahlt; ein Team von Zensoren wurde damit beauftragt, alle Äußerungen herauszuschneiden, die als Wahlkampf eingestuft werden. Ein Katz-und-Maus-Spiel: Netanjahus Team wacht mit Argusaugen darüber, dass der Redeentwurf nicht nach außen dringt; offiziell heißt es, man feile bis zur letzten Minute daran. Doch inoffiziell räumen Netanjahu-Mitarbeiter ein, man wolle der Wahlkommission keine Gelegenheit geben, schon vorab Einfluss zu nehmen. Denn natürlich - man hoffe darauf, dass sich die Washington-Reise in möglichst viele Wählerstimmen unrechne.
Doch der Gegenwind im eigenen Land ist beträchtlich. In einem ausgesprochen ungewöhnlichen Schritt erhob am Wochenende eine Allianz aus ehemaligen Geheimdienstlern und Militärs das Wort gegen Netanjahu und seinen Kurs. Vertreten ist darin nahezu alles, was Rang und Namen hat: Ehemalige Kommandeure der Sajeret Matkal, einer ebenso sagenumwobenen wie verschwiegenen Eliteeinheit, die für ihre tollkühnen Missionen bekannt ist. Und auch Meir Dagan, bis 2011 Mossad-Chef, der nun Netanjahu nicht mehr nur bei konkreten Anlässen kritisiert, sondern ihm ganz allgemein vorwirft, Israel zu schaden. »Was wird Netanjahu mit seiner Rede erreichen?«, fragt er in einem Gespräch mit der israelischen Zeitung »Jedioth Ahronoth«: »Der Vetoschirm, den die Amerikaner bieten, könnte verschwinden, und Israel könnte sich mit internationalen Sanktionen konfrontiert sehen.« Er habe Netanjahu noch nie Verantwortung übernehmen sehen: »Er ist gut mit Worten, nicht Taten.«
Auch in der Politik trifft Netanjahus Initiative auf wenig Gegenliebe. Selbst in seiner eigenen Partei sorgt man sich um die Glaubwürdigkeit: »Wir können den Aussagen nichts entgegensetzen«, sagt ein Abgeordneter, der als ausgesprochener Hardliner bekannt ist: »Wir sind Politiker, das sind Sicherheitsexperten, die ihr Leben lang nichts anderes gemacht haben, als alles auf sein Für und Wider abzuklopfen.«
Besorgnis erregt beim Likud auch, dass in den Medien immer wieder daran erinnert wird, wie Netanjahu versuchte, 2010 unter Umgehung des Sicherheitskabinetts einen Militärschlag gegen Iran anzuordnen. Es geschah nur nicht, weil sich Militär- und Geheimdienstchefs weigerten. »Allein schon die Mobilisierung hätte zu einer unkontrollierbaren Eskalation führen können«, so Dagan.
Kritik gibt es selbstverständlich auch von der Zionistischen Union: »Ich stimme mit Netanjahu in der Frage der iranischen Bedrohung überein«, sagt Spitzenkandidat Jitzhak Herzog von der Arbeiterpartei: »Doch seine Rede wird das Verhältnis zu den USA weiter belasten und sonst nichts erreichen: Die Politik, die Verhandlungsführer werden ihren Kurs nicht ändern.«
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