Wer gehört dazu, wer nicht?

Yilmaz Dziewior über Künstlerpositionen, Ausstellungsthemen und seinen eigenen Weg zur Kunst

  • Lesedauer: 6 Min.

Yilmaz Dziewior, als Leiter des Kunsthauses in Bregenz haben Sie in den letzten Jahren überwiegend monografische Ausstellungen gezeigt. Das scheint Ihr favorisiertes Format zu sein.

Das kann ich so nicht behaupten. Es war in Bregenz lange Tradition, Einzelkünstler einzuladen, die neue Arbeiten für die besondere Architektur Peter Zumthors entwickelten. Die Künstler haben sich immer wieder gern darauf eingelassen, deswegen war es sinnvoll, die Reihe fortzusetzen. Wir haben aber parallel ebenso kleine, experimentelle Formate realisiert, das waren häufig Gruppenprojekte. Mir war aber bewusst, dass die Aufmerksamkeit die großen monografischen Ausstellungen bekommen würden.

Auch Ihre ersten Ankündigungen als Direktor des Museum Ludwig in Köln sind Einzelkünstler.

Das Museum Ludwig steht zwar für seine großen Sammlungen etwa zur Pop Art, zur Russischen Moderne und zur Fotografie, man verbindet das Haus aber auch über die Stile hinaus mit einzelnen Künstlern: Kasimir Malewitsch, El Lissitzky, Jasper Johns, Robert Rauschenberg. Letztendlich geht es doch um das individuelle Werk. Es kann spannend sein, es in einer Gruppenpräsentation anders zu beleuchten, andere Akzente zu setzen, für mich bleibt aber die jeweilige Einzelposition zentral.

Mir sind in Köln nicht nur die Einzelpositionen in Erinnerung geblieben, sondern beispielsweise auch die Ausstellung »Das achte Feld« über Geschlechter und Sexualitäten in der Kunst. Ich hatte damals den Eindruck, viele Kölner kamen dafür das erste Mal ins Museum Ludwig. Braucht es nicht mehr solcher thematischer Gruppenausstellungen, um ein breites Publikum zu erreichen?

Die können durchaus produktiv sein. Meine Erfahrung in Bregenz und zuvor als Direktor des Kunstvereins in Hamburg zeigt aber, dass ein Publikum, das wegen einer speziellen Thematik in die Institution kommt, nicht zwangsläufig wiederkehrt. Die Themen werden für die Besucher doch außerdem auch in Einzelpositionen behandelt. In eine Ausstellung mit Yvonne Rainer etwa, wie wir sie in Bregenz in Kooperation mit dem Ludwig hatten, kommen vermehrt Leute, die an Tanz interessiert sind. Wenn ich im kommenden Sommer in Köln den vietnamesischen Künstler Danh Võ zeige, der sich mit seiner Herkunft und mit homosexueller Liebe auseinandersetzt, werden wieder gezielt Leute angesprochen.

Danh Võ ist in Europa aufgewachsen, er arbeitet von Beginn an unter westlichen Produktionsbedingungen. Sie haben Ihren Blick in der Vergangenheit aber auch weiter schweifen lassen.

Ich würde Danh Võ nicht als einen Künstler charakterisieren, der ausschließlich unter westlichen Produktionsbedingungen arbeitet. Er produziert viel in Asien und aktuell auch in Mexiko. Ich habe aber immer wieder, und das werde ich auch in Zukunft tun, mit Künstlern gearbeitet, die nicht in Europa oder Nordamerika gelebt haben. Beispielsweise mit Bodys Isek Kingelez, der in Kinshasa lebt und produziert. Die Institution, für die ich tätig war, sollte aber nie dafür bekannt werden, sich dezidiert mit nicht-westlichen Künstlern zu beschäftigen. Das kann nämlich kontraproduktiv sein. Damit öffnet man nur eine weitere Schublade.

Roger M. Buergel, der »Documenta«-Leiter von 2007, monierte kürzlich in einem Interview, bei nur wenigen Künstlern spreche das »lokale Idiom« mit. Die meisten bedienten im globalisierenden Kunstbetrieb die westlichen Wahrnehmungsmuster. Der Blick auf das Fremde sei ihnen und auch uns zu anstrengend.

Da schwingt aber ein Kolonialismus-Vorwurf mit bei dieser Meinung. Ist das für Herrn Buergel ein Vorteil, wenn das lokale Idiom Eingang in die Arbeit eines Künstlers findet? Ist das für ihn ein Auswahlkriterium? Wenn ich mich mit einem Werk beschäftige, dann habe ich doch keine Checkliste, auf der ich dieses oder jenes abhake. Auch wenn mir die Problematik einleuchtet. Gerade bei Großausstellungen kann es durchaus passieren, dass feine Nuancen nicht zum Tragen kommen. Aber eine Klassifizierung von Künstlern in solche mit lokalem Idiom und solche, die nur die internationale Kunstsprache praktizieren, halte ich persönlich für schwierig.

Wie wählen Sie Ihre Künstler aus?

Es gibt bestimmte Themen, die meine gesamte Arbeit durchziehen. Zum einen sind es Fragen zur kulturellen Identität, was mit meiner eigenen Geschichte zu tun hat. Mein Vater ist Türke, meine Mutter hat polnische Vorfahren. Ich aber hatte eine komplett deutsche Sozialisierung. Ich spreche weder Türkisch noch Polnisch. Gleichwohl würde ich sagen, dass meine Herkunft für meine Arbeit entscheidend war. Ich sah mich nämlich allein aufgrund meines Namens oft mit einer Haltung konfrontiert, nicht zum kulturellen Setting zu gehören, in dem ich agierte. Das ist heute anders. Man hört von vielen Türken der dritten Generation, dass sie diese Erfahrung nicht so deutlich gemacht haben. Zum anderen interessiert mich, die bildende Kunst im interdisziplinären Feld zu verorten und über das System zu reflektieren, in dem ich tätig bin: In welchen Koordinaten wird Kunst definiert? Wer sind die Teilnehmer? Wer ist nicht Teil des Systems?

Sie beschäftigen sich mit Institutionskritik.

Ja. Die beschränkt sich aber nicht nur auf das Kunstsystem. Wenn man sich beispielsweise den Kunstmarkt anschaut, sind dort sehr viele Akteure involviert, die nicht zum engeren Kreis des Kunstsystems gehören. Aktuell ging es doch darum, ob Kunst aus öffentlichem Besitz veräußert werden darf. Daran war auch die Politik beteiligt. Meine Künstler gehen zwar immer von der Kunstinstitution aus, sie winden sich dann aber in andere Bereiche.

Wie sind Sie zur Kunst gekommen? Ihre Eltern, sagten Sie einmal, könnten nichts mit ihr anfangen.

Stimmt, in meiner Familie gab es null Berührung mit Kunst und Kultur. Ich habe in der Schule festgestellt, dass mich die bildende Kunst interessierte. Während meine Mitschüler darüber lachten, weil sie ihnen albern vorkam, entwickelte ich ein Verständnis, eine Sensibilität dafür. Für meinen Vater, einen Ingenieur, war es dann ganz schlimm, als ich anfing, Kunstgeschichte zu studieren. Seitdem habe ich auch keinen Kontakt zu ihm. Zeitweise lebte ich bei meiner Tante, die auch keinen Zugang zur Kunst hatte. Was doch in Ordnung ist, nicht jeder kann sich dafür interessieren. Meine Mutter freut sich für mich, ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass sie schon einmal in einem Museum war.

Durch die Kunst konnten Sie sich über die Familie hinaus zuordnen.

Ja, sie hat mir eine Welt eröffnet, die ich mit sehr vielen Menschen teile.

In Köln möchten Sie die Kunst stärker mit dem Leben verbinden. Wie kann das gelingen? Im unglücklichsten Fällen kommen bei diesem Versuch Kletterparks und Polit-Slogans im White Cube heraus.

Das sind die Negativ-Beispiele. Das Besondere am Museum Ludwig ist doch, dass es uns bereits mit seiner Pop-Art-Sammlung zeigt, wie Kunst und Leben zusammengebracht werden können. Die Pop-Art-Künstler haben die Dinge, die aus dem Kunstkontext ausgeschlossen waren, in diesen überführt. Es wurden Tageszeitungen abgemalt, Bezüge zur Werbung und zum Fernsehen hergestellt. Es wurde das praktiziert, was wir als medienreflexiv bezeichnen. Wie ich in Köln gesellschaftliche Themen bearbeiten werde, das wird sich über die Auswahl solcher Positionen entscheiden.

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