UN-Experten werfen Islamischen Staat Völkermord vor

Systematische Angriffe auf Jesiden im Irak seien als Genozid einzustufen

  • Lesedauer: 3 Min.

Genf. Folter, Vergewaltigung, Massenmord: Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) löst mit ihrer extremen Brutalität in Syrien und im Irak weltweit Entsetzen aus. Jetzt erheben die Vereinten Nationen den schwersten Vorwurf: Völkermord. Die systematischen Angriffe des IS auf die religiöse Minderheit der Jesiden im Irak kämen einem Genozid gleich, heißt es in einem Bericht des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, der am Donnerstag in Genf vorgestellt wurde. Der IS habe die Absicht verfolgt, die »Jesiden als eine Gruppe zu zerstören«.

Der UN-Hochkommissar, der Jordanier Seid Ra'ad al-Hussein, selbst ein Muslim, sendet eine klare Botschaft: Die Taten des IS wiegen nach seiner Einschätzung so schwer, dass der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag Ermittlungen aufnehmen müsse. Auch Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden den Terroristen vorgeworfen. Neben den Jesiden benennt die UN-Behörde auch Christen und andere religiöse und ethnische Minderheiten als Opfer des IS-Terrors.

Der UN-Bericht beruht auf Befragungen von mehr als 100 Zeugen und Überlebenden zu der Zeit von Juni 2014 bis Februar 2015. Zu den aufgeführten Gräueltaten gehört die Ermordung von Hunderten jesidischer Männer im August 2014 in etlichen irakischen Dörfern. Der IS entführte laut Bericht jesidische Jungen im Alter zwischen 8 und 15 Jahren und zwang sie, zum Islam zu konvertieren. Danach drillten die Fanatiker die Kinder für den Dschihad.

Mädchen und Frauen wurden von den Terroristen vergewaltigt, verschleppt und als Sexsklavinnen »verschenkt«. Als Konsequenz der IS-Verbrechen sei das Leben der jesidischen Religionsgemeinschaft in vielen Orten des Iraks erloschen, konstatieren die Autoren des Berichts. Weltweit bekennen sich nach Schätzungen 800.000 Menschen zum jesidischen Glauben. Die Mehrheit von ihnen lebt im Nordirak. Jesiden gibt es auch in Syrien, Armenien, Georgien, der Türkei und im Iran.

Der Zentralrat der Jesiden in Deutschland nannte die Bewertung der Verbrechen durch die Vereinten Nationen folgerichtig. »Alles andere hätte uns überrascht«, sagte der Sprecher Holger Geisler in Oldenburg. Nun erwarte man mit Spannung die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft. Nötig sei vor allem eine Schutzzone für Jesiden und orientalische Christen im Nordirak, sagte Geisler: »Damit Menschen dort in Ruhe leben können.« Eine Schutzzone sei aber nur mit Hilfe von Bodentruppen möglich. Doch derzeit sei keine Nation dazu bereit, Truppen zu schicken, sagte Geisler. Deshalb müssten konkrete Alternativen zum Schutz der Jesiden erarbeitet werden.

Der UN-Bericht listet auch schwere Verbrechen des sunnitischen IS an schiitischen Muslimen auf. Dazu gehört das Massaker an 600 Männern in einem Gefängnis im Juni 2014. Zudem mussten bis Anfang August 2014 rund 200.000 Christen und Angehörige anderer Minderheiten vor den anrückenden Terrormilizen fliehen. In den eroberten Gebieten zerstörten die marodierenden Einheiten Kirchen und andere Gebäude.

Das UN-Hochkommissariat beschuldigt aber auch die irakischen Regierungstruppen und verbündete Einheiten, schwere Verbrechen im Kampf gegen den IS verübt zu haben. Zu den Taten zählen Folter, Entführungen, Vertreibungen und willkürliche Hinrichtungen. Unter den Opfern finden sich nach den Erkenntnissen der UN-Ermittler auch Zivilisten. Die Abschnitte über die Gewalt ihrer Truppen dürfte der irakischen Regierung nicht gefallen: Der gesamte Report des UN-Hochkommissariats entstand auf Initiative Bagdads.

Der Irak ist nicht Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs. Das Tribunal in Den Haag könnte daher nur Ermittlungen aufnehmen, wenn die irakische Regierung oder der UN-Sicherheitsrat explizit das Mandat dazu erteilen. Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Omid Nouripour, forderte die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass die Verbrechen des IS vor das Weltstrafgericht kommen. epd/nd

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