Die schneeblinde Tourismusbranche
Ob Riesengebirge, Harz oder Erzgebirge - in wenigen Jahrzehnten wird hier kaum noch Wintersport möglich sein
Anfang Februar in Špindlerův Mlýn, dem zentralen Wintersportort des tschechischen Riesengebirges, 700 Meter Höhe: Es taut. Die dicken Eiszapfen tropfen und Hotelbesitzer lassen den Schnee von den Dächern schippen aus Angst, er könnte herunterrutschen und Gäste verletzen. In den Après-Ski-Bars und Hotels nimmt das touristische Leben seinen gewohnten Lauf. Nur der Skilift schließt eine Stunde früher. Die Besucher, darunter viele Deutsche, wärmen sich bei dünnem Glühwein auf, neben den Liften flattern Werbefahnen des deutschen Energiekonzerns RWE. »Ich hoffe, die Schneedecke hält sich noch einige Wochen, ging ja auch wieder spät los die Saison«, meint eine Barbesitzerin besorgt.
Schon im vergangenen Winter hatte es hier wenig Schnee gegeben. Ebenso wie in den deutschen Mittelgebirgen. Hotelbesitzer und Tourismusverbände reden nicht gern darüber, sondern stellen die Lage lieber positiv dar: »Dennoch konnte man 2014 ganze 127 Tage ohne natürlichen Schnee fahren«, wirbt die Hochglanzbroschüre von Černá Hora, einem Skiressort keine zehn Kilometer von Špindlerův Mlýn entfernt.
»In der Tourismusbranche und den Medien wird über den Einsatz von Kunstschnee diskutiert, aber niemand redet darüber, dass diese Situation eine Folge des Klimawandels sein könnte«, sagt Petra Roubíčková vom Umweltministerium in Prag. Sie geht aber davon aus, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis das Thema auch in Špindlerův Mlýn ankommt. Denn laut tschechischen Klima-Experten nimmt schon seit 30 Jahren die Schneehöhe in den Mittelgebirgen kontinuierlich ab. Diese Beobachtung blieb folgenlos - das Land hatte mit Vaclav Klaus bis 2013 einen Leugner des Klimawandels als Staatspräsident. Davon hat sich die öffentliche Debatte noch nicht erholt.
Dass der Klimawandel ganze Wirtschaftszweige in ihrer Existenz bedroht, wollen auch in Deutschland viele noch nicht wahrhaben - in den Alpen wie auch in den Mittelgebirgen. Fotos von grünen Hängen und schmalen Schneestreifen machten die Runde. Auch im Riesengebirge gab es im Februar wieder grüne Tannenwälder mit einzelnen weißen Flecken. Vereiste Pisten und angetaute Loipen. Winterromantik sieht anders aus. Eigentlich soll die Skisaison bis April gehen: Am Montag waren aber in nur fünf der 72 Skigebiete einige Lifte geöffnet.
Das heizt den Ehrgeiz der Branche allerdings erst recht an. In Braunlage im Harz sind über 13 Millionen Euro in den Ausbau des Skitourismus geflossen, darunter auch Mittel aus den EU-Regionalfonds. Und das, obwohl das Gebiet - rund 900 Meter über dem Meeresspiegel - ohnehin als nicht besonders schneesicher gilt. Anfang März lag hier am Wurmberg, der höchsten Erhebung Niedersachsens, tatsächlich noch Schnee. Die Loipen waren gespurt, an den Liftanlagen bildeten sich Schlangen. »Total überlaufen«, »stundenlanges Warten für ein paar Minuten Spaß«, beschwerten sich Besucher der »größten deutschen Abfahrtspiste außerhalb der Alpen«. Einer beklagt sich via Internet: »Die Piste ist morgens (8.45 Uhr) gut und nach 4 Stunden schlechte Piste. Auf der Piste sind leider viel Pulverschnee/Kunstschnee.«
Am Wurmberg wurden laut Umweltschützern in den letzten Jahren über 16 Hektar Wald für neue Pisten gerodet, für neue Parkplätze mussten Wiesen weichen. Der 5000 Quadratmeter große Beschneiungsteich soll Wasser für jährlich 80 000 Kubikmeter Kunstschnee bereitstellen und so über 100 Schneetage garantieren. Der Bund für Umwelt und Naturschutz spricht von einer »gigantomanischen Naturzerstörung des harten Tourismus mitten im Naturpark Harz«.
Den »Skizirkus« hielt Geologe Friedhart Knolle von Anfang an für Unsinn. Der 60-Jährige, der für die Naturschützer aus der Region spricht, kann als gebürtiger Harzer auch ganz ohne Wissenschaft über den Klimawandel berichten: »Früher sind wir schon ab Weihnachten problemlos Ski gefahren, heute können wir maximal ab Anfang Januar mit einer verlässlichen Schneedecke rechnen«, schildert Knolle. »Letzten Winter hatten wir gut gerechnet 40 und diesen Winter nach optimistischen Rechnungen 60 Schneetage - die Investoren haben sich also ordentlich verspekuliert«, meint Knolle, der früher in der Nationalparkverwaltung gearbeitet hat. Auch der Kunstschnee könne das warme Wetter nur bedingt wettmachen: »In Mittelgebirgen funktionieren die Schneekanonen erst ab minus zwei Grad und das war in den letzten beiden Wintern oftmals nicht der Fall«, so Knolle. Sicher werde es noch einige kalte Winter geben, so der Naturschützer. Es sei »fraglich, ob wir für zehn Jahre Wintersport noch hektarweise Wald abholzen wollen, denn danach müssen Lösungen für einen ganzjährigen Sommertourismus her«.
Wenige Kilometer entfernt diskutiert im sachsen-anhaltischen Wernigerode der Stadtrat gerade über den Ausbau des Skigebietes von Schierke. Allerdings rudert die lokale Politik dort gerade etwas zurück. Erst mal sollen keine weiteren Steuermillionen fließen. In dem kleinen Ort am Fuße des Brockens, wo es bisher nur Langlaufloipen gibt, sind Abfahrtspisten geplant, dafür sollen Bäume gefällt und die Stadt auf den Massentourismus vorbereitet werden - Schierke liegt jedoch nur auf 600 Metern Höhe. Auch hier habe der Winterspaß dieses Jahr erst im Februar begonnen, räumt eine Mitarbeiterin der Tourist-Information ein.
Nach einer Studie des Umweltministeriums von Sachsen-Anhalt über die Folgen des Klimawandels werden die milderen Temperaturen in den nächsten Jahrzehnten zu einer früheren Schneeschmelze führen. Die Winter werden demnach kürzer. Auch vor der Häufung von warmen Wintern und deren »ökonomischen Folgen für die Region« warnt das Land. Diese Studie kennen aber scheinbar weder Wernigerode noch die Investoren vom Wurmberg. Oder wollen sie nicht kennen. Fragt sich also, warum die Gemeinden und Unternehmen trotzdem so wild darauf sind, neue Wintersportgebiete zu erschließen. Ist die Branche »schneeblind«?
»Der Klimawandel ist ein schleichender Prozess«, erklärt Andreas Marx vom Mitteldeutschen Klimabüro die unterschiedlichen Wahrnehmungen. Das Problem für die Tourismusbranche liegt auf der Hand: »Nach zwei warmen Jahren kann es auch wieder kalt werden - die Erwärmung tritt nicht plötzlich von einem Jahr zum anderen ein«, erklärt der Klimaexperte.
Wenn in Wintersportgebieten Anlagen errichtet werden, zahlt sich dies für die Investoren nach 20 bis 30 Jahren aus. Was derzeit neu entsteht, könne sich also gerade noch lohnen, so Marx. Bis 2050 sei noch mit halbwegs verlässlichem Schneefall in Mittelgebirgen zu rechnen. Allerdings häufe sich schon vorher die Anzahl der besonders warmen und besonders kalten Perioden - das Wetter werde extremer und unberechenbarer, aber nicht unbedingt jeden Winter wärmer. Die Klimaforschung kann diese Schwankungen schwer voraussagen und nur einen allgemeinen Trend angeben. Auch dieser unterliege »enormen Spannbreiten«, erläutert Experte Marx. Im Klartext: Je mehr Klimaschutz es gibt, desto geringer fällt die Erwärmung aus. »Die Szenarios rechnen mittlerweile mit 2 bis 5,5 Grad durchschnittlicher Erwärmung bis 2100«, so Marx.
Das Umweltbundesamt geht davon aus, dass bei einer um 2 Grad erhöhten Jahrestemperatur bis 2050 nur noch Skigebiete oberhalb von 1500 Meter schneesicher sind - Mittelgebirge wären längerfristig also raus. Zahlreiche Daten aus regionalen Klimaatlanten und Anpassungsstudien bestätigen diesen Trend und zeigen, dass Wintersport die nächsten drei Jahrzehnte nicht unmöglich, aber beispielsweise durch den verstärkten Einsatz von Beschneiungsanlagen ein teures Vergnügen werden könnte.
Wie ernst die Tourismusbranche den Klimawandel wirklich nimmt, hängt vor allem vom Wetter ab, meint Andreas Hoy. Der Ökonom von der TU Freiberg hat in den sächsischen Mittelgebirgen Umfragen zu Wintersport und Klimawandel durchführen lassen. Das Ergebnis: Von Liftbetreibern und Gemeindevertretern in Skigebieten glaubten noch vor wenigen Jahren gut zehn Prozent gar nicht an einen Klimawandel und mehr als jeder zweite meinte, dass der Klimawandel keine Auswirkungen auf die Schneeverhältnisse habe. Nach dem fast komplett ausgefallenen Winter 2013/2014 hätten deutlich mehr Befragte plötzlich den Klimawandel und dessen Folgen im Blick gehabt.
Spätestens damals seien viele aufgewacht, bestätigt Veronika Hiebl, Geschäftsführerin des Tourismusverbandes Erzgebirge. »Die Verluste gingen in den zweistelligen Prozentbereich.« Auch dieser Winter sei alles andere als optimal. »Das Wetter ist unberechenbar geworden«, meint sie und fordert ein Umdenken. Ihr Verband hilft beispielsweise, eine Mountainbike-Strecke aufzubauen und das Winterwandern als Angebot zu etablieren. »Die Fahrradsaison haben wir bisher von Mai bis Oktober festgesetzt - angesichts des Wetters gehen wir aber davon aus, die Saison um zwei Monate zu verlängern, also von April bis November«, sagt Hiebl. Zwar lohnten sich noch Investitionen in den Hochlagen wie am Wintersportareal um den Fichtelberg, das bei rund 1200 Metern liegt. In niedrigeren Lagen müsse man sich aber schon fragen, ob es noch sinnvoll sei, weiteres Geld in den Ski-Tourismus zu stecken.
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