Linke Lümmel im Geldrausch?
Ein Seminar zur medialen Wahrnehmung von Studierendenschaftspolitik
Massenmedien berichten wenig über Hochschulpolitik. Und wenn sie es tun, dann verbreiten sie genüsslich Stereotype statt Fakten. Ein klares Bild vom typischen linken Studenten haben sie ohnehin: Nach durchzechter Partynacht entsteigt er mit ungewaschener Fettmähne mittags seinem Schlafgemach, startet noch halbbesoffen den von Mami gesponserten Kleinwagen und düst selbstgedrehte Zigaretten rauchend zur Uni, um sich Automatenkaffee trinkend mit In-Ear-Kopfhörern zu bestücken und in Vorlesungen die neuen Hits alternativer Punkrock-Bands anzuhören. Wenn er überhaupt mal eine Vorlesung besucht. Meist nämlich sitzt er kiffend in Gremiensitzungen des AStA (Allgemeiner Studierenden-Ausschuss) und tüftelt mit seinen Kollaborateuren an Ideen, den von der bettelarmen Studentenschaft dreist abgeknöpften Semesterbeitrag möglichst sinnlos zu verpulvern.
Auch wenn es reichlich überspitzt klingt: Wer Medienberichte über Studierendenschaftsvertretungen aus den vergangenen Jahren sammelt und liest, kann nur zu dem Ergebnis kommen, dass sich in den Schreibstuben der lokalen, regionalen und überregionalen Redaktionen die mit dem Thema betrauten Kollegen mit ihren so gearteten Klischeebild begnügen und die journalistische Grundregel der Recherche unterlassen. In diesem Sinne aufschlussreich ist die Textsammlung, die Benjamin Bisping vom AStA der TU Berlin vor Beginn seines einleuchtenden Vortrags im Publikum austeilt.
Als Deckblatt firmiert die Titelgeschichte des »Uni Spiegel« vom Februar 2012. Unter der Illustration von durch ein Feuerzeug mit »AStA«-Aufschrift angezündeten Geldscheinen die Worte: »Da brennt euer Geld!«. Es ist ein beliebtes Spiel, um die angeblich »wirklich Arbeitenden« in den Banken und Kaufhäusern dieser Republik gegen jene aufzubringen, die dieser Lesart zufolge mutwillig Steuergelder verbraten, um sich in einem unnötig in die Länge gezogenen und nach zwanzig Semestern oftmals doch abgebrochenen Studium einen schönen Lenz auf Kosten der Mitte dieser Gesellschaft zu machen.
Das ist die Erkenntnis aus dem Panorama, das Bisping in seinen Ausführungen aus dem Reader zieht. Angefangen, erzählt Bisping, habe alles mit Brasilien: 1999 fand das fünfte Treffen der »Latein-/südamerikanisch-/karibischen feministischen Lesben« in Rio de Janeiro statt. Zwei Studentinnen der TU Berlin, die sich in ihrer Arbeit vorrangig mit Feminismus beschäftigten, seien damals dabei gewesen. Ihre Reise habe der AStA mit umgerechnet 1400 Euro bezuschusst. In nahezu allen die AStA-Arbeit negativ darstellenden Artikeln, die bis ins Jahr 2014 reichen, seien die jeweiligen Autorinnen und Autoren auf diesen Umstand eingegangen – ganz egal, ob es inhaltlich passte oder nicht.
Benjamin Bisping arbeitet besonders eine Gemeinsamkeit der Texte heraus: »In keinem einzigen Fall wird eindeutig darauf hingewiesen, wie lange diese Rio-Reise zurückliegt. Auch wird an keiner Stelle einer der damals handelnden Personen die Möglichkeit gegeben, sich dazu zu äußern. Außerdem wird nur in den wenigsten Fällen eingeräumt, dass der Rechnungshof die Reise 2003 als legal anerkannt hatte.«
Ob in ZEIT (»Die zehn größten Verschwendungen des AStA«), Spiegel (»Sex-Seminare und Kuba-Reisen«), Süddeutscher Zeitung (»Geld für Cocktails!«), Berliner Zeitung (»Presseerklärungen mit aufgeklebter Schokolade!!«) oder Bild (»Queere Hochschultage!!!«) – stets gehe es in der Berichterstattung um vermeintliche Finanzskandale, die das unverantwortliche Handeln linker AStA-Vertreter nachweisen solle, die lieber diverse Minderheitenrechte teuer subventionieren und wilde Partys mit dickem Minus veranstalten, als sich um die unpolitischen Belange der darbenden Studenten zu sorgen.
Bisping legt in seinem schnellen Durchgang gekonnt die Fehler in den Berichten offen, interpretiert sie allerdings lediglich als »schlampig recherchiert«. Er vermeidet es, die Muster der Berichterstattung als bewusste Falschdarstellung zu titulieren, obwohl es wahrscheinlich ist, dass die Journalisten schlicht einer Blattlinie folgen. Juristisch gewieft wie sie nun mal sind, tun die Lohnschreiber der Großkonzerne natürlich einen Teufel und verbreiten Lügen. Sie arbeiten vielmehr mit dem bewährten Mittel der Auslassung, um den gewünschten Eindruck beim Leser entstehen zu lassen.
Wenn etwa in besagtem ZEIT-Artikel über angebliche Geldverschwendung von 2010 steht, dass der AStA der HU Berlin »Bürgerkriegskämpferinnen aus Guatemala eine Rundreise durch Deutschland« finanziert habe und die nüchterne Angabe »Kosten: unbekannt« hinzufügt, dann zeigt eine kurze Recherche: In der Berliner Zeitung war schon Jahre zuvor nachzulesen, dass für die erwähnte Reise 1000 D-Mark bzw. 500 Euro anfielen. Als DIE WELT 2012 berichtete, die christdemokratisch/liberale Opposition im Studierendenparlament der HU Berlin sei »machtlos gegen die Geldverschwendung des linken AStA«, unterschlägt der Autor, dass die Opposition zu diesem Zeitpunkt bereits in ähnlichen Fragen vor Gericht gegen den AStA gewonnen hatte.
Was bei derart konstruierten Texten haften bleibt, ist das Bild von den bösen linken Langzeitschluffis, die den Studis jedes Semester zehn Euro an Zwangsgebühren abnehmen und sie für linksradiale Klientelpolitik verprassen. Abgesehen davon, dass Studenten in Deutschland fast immer finanziell privilegierten Elternhäusern entstammen, gäbe es beispielsweise faktisch ohne AStA an keiner Uni das die Studenten massiv begünstigende Semesterticket. Auch viele andere Errungenschaften der studentischen Selbstverwaltung spielen in den Medienberichten niemals eine Rolle. Es geht ihnen wohl einzig darum, linke Nachwuchspolitik nachhaltig zu stigmatisieren.
Auch hierfür lieferte Benjamin Bisping den Nachweis. Als an der Ruhr-Universität Bochum im Jahr 2007 nach vielen Jahren erstmals ein rechter AStA aus Jusos und RCDS gewählt wurde, jubelte ZEIT CAMPUS, nun sei endlich »ein seriöser AStA« im Amt. Dessen Vorsitzender Fabian Ferber schmiss aber sofort nach Amtsantritt eine Riesen-Party mit prominenten Musikern wie Culcha Candela, 2raumwohnung oder Juli – und verkalkulierte sich so dramatisch, dass am Ende ein Minus von 218.245,30 Euro zu Buche stand. Ein vergleichsweise mildes Medienecho war die Folge. Um Geld für Feten kann es den Medien also nicht gehen, wenn sie den Studierendenvertretern Geldverschwendung vorwerfen. Es geht vielmehr darum, linke politische Aktivitäten zu diskreditieren und stattdessen den unpolitischen, angepassten Regelstudienzeit-Durchstartern den Weg in die uniformierte, kreuzbrave, heuchlerische Schleimscheißergesellschaft zu ebnen.
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